Sonntag, 7. Oktober 2007

Arno Schmidt 1955 Tina oder über die Unsterblichkeit

Arno Schmidt (1955) TINA oder über die Unsterblichkeit, Erstveröffentlichung in der Zeitschrift Augenblick 1956, Nr. 4 / Bargfelder Ausgabe - Werkgruppe 1, Band 2, S. 165-187.


Es gibt Bücher und Kurzgeschichten, die kann ich alle paar Jahre mit großen Vergnügen wieder lesen. Tina von meinem Lieblingsautor AS gehört dazu und wird immer wieder genossen. Der Griff ins Regal hatte bestimmte etwas unbewusstes, denn seit dem Tod eines ehemaligen guten Freundes schweiften die Gedanken zu gemeinsamen Erlebnissen und Gesprächen.

Es klingt fast schon banal, wenn formuliert wird, ein Mensch lebt so lange fort, wie andere Menschen an ihn denken und über ihn reden. Im negativen Extrem wird vom sozialen Tod gesprochen, dass ein Mensch bereits vor dem physischen Tod verstorben ist, da niemand an ihn denkt.

Arno Schmidt greift den Gedanken der Unsterblichkeit auf und machte hieraus eine amüsante Kurzgeschichte, in der ein Mensch so lange existiert, wie sein Name auf einem Blatt Papier zu finden ist. Es wird oftmals von unsterblichen Werken der Literatur geschrieben, hier werden die Konsequenzen gezeigt.

Der Protagonist ist einmal mehr ein Alter Ego des Autors, der auf einen abendlichen Gang durch Darmstadt, wo die Geschichte geschrieben wurde, einen seltsamen Mann kennen lernt, der ihn einlädt, ihn einmal mit in das Elysium zu begleiten. Dies ist der Ort, wo die Unsterblichen weiter existieren. Er reist mit diesen Mann, der sich als der Schriftsteller Christian August Fischer (1771-1828) herausstellt und folgt ihn und der Schriftstellerin Kathinka "Tina" Halein (1801-77) in eine verborgene Hohlwelt unter die Erdoberfläche.
Jeder Unsterbliche darf von Zeit zu Zeit einen sterblichen Autor als Besucher ins Elysium führen, um ihn die Konsequenzen seines Schaffens zu zeigen. So lange noch ein Buch oder Manuskript existiert, dass auf eine reale Person verweist, so lange verbleibt die Person im Elysium. Erst mit der Vernichtung der letzten Erwähnung verschwindet die Person ins Nirwana. Die Ewigkeit kann unendlich langweilig werden.

Auf diesen einundzwanzig Seiten zeigt Arno Schmidt seine Dia-Technik der diskontinuierlichen Erzählung. Jeder Schnappschuss ist gefüllt mit Literatur(geschichte). Es ist eine selbstironische Geschichte, denn Arno Schmidt lebte damals davon, dass er vergessene und fast vergessene Autoren des 18. und 19. Jahrhunderts in Funkessays wieder bekannt machte.
Für Menschen, die Arno Schmidt noch nicht kennen, empfehle ich stets die Romane „Schwarze Spiegel“ (1951) und „Kaff auch Mare Crisium“ (1960). Doch wer erst mal in den Stil hinein schnuppern möchte, sollte „Tina oder über die Unsterblichkeit“ lesen.

Wie die Unsterblichkeit vermieden werden kann, findet sich als Zitat im nächsten Beitrag.

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Arno Schmidt wird ausführlich im Web präsentiert. Ich verweise auf den Artikel in der Wikipedia und auf die Seiten der Arno-Schmidt-Stiftung. Des weiteren gibt es die Gesellschaft der Arno Schmidt Leser, die ein ausführliches Internetportal zu vielen Aspekten des Autors und seiner Werke anbieten.
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Weitere Zitate von Arno Schmidt:
Und schließlich meine Empfehlung für den Roman "KAFF auch MARE CRISIUM", der sich vortrefflich zum Vorlesen eignet.

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