Die Aktualität eines Buches fördert den Verkauf, kann aber auch dazu führen, dass bereits wenige Jahre nach dem Erscheinen, dass Buch unverständlich und uninteressant ist. Das ist bei diesem Buch zu erwarten.
Marc Elsberg schreibt über das Sammeln von digitalen Daten und mögliche Begehrlichkeiten und Konsequenzen. Visuelle und akustische Daten werden automatisch gesammelt, aber die einzugebenden Daten werden von den Menschen freiwillig zur Verfügung gestellt.
Facebook und andere sogenannte soziale Netzwerke, die alles außer sozial sind, leben davon, dass die Nutzer ein persönliches Profil anlegen, was sie durch Statusmeldungen und Ergänzungen erweitern. Doch es sind nicht nur diese öffentlichen Profile, sondern auch weitere persönliche Informationen, die freiwillig abgegeben werden. Da sind zum Beispiel die Kundenkarten, die für einen marginalen Rabatt Menschen motivieren, Unternehmen zu zeigen, was sie wann und wo für Produkte und Dienstleistungen erwerben. Oder die verschiedenen Programme zur Selbstoptimierung, die immer mehr Menschen freiwillig verwenden. Zum Beispiel beim Sport (Laufleistung, Blutdruck, Puls), wo Daten nicht nur auf dem umgehängten Messgerät sondern auch gleich online gesammelt werden. Oder die Bewegungsprofile, die durch die Triangulation von Handys möglich sind oder noch schlimmer die Gesichtserkennungssoftware, die Bildern aus Überwachungskameras einzelnen Personen zuordnet.
Hier setzt der Roman ein. Er erzählt von einer Mutter und Journalistin, die kritisch registriert, dass ihre fast erwachsene Tochter einem Unternehmen über verschiedene Apps eine Vielzahl von Daten zur Verfügung stellt. Alle Daten werden freiwillig abgegeben, damit eine individualisierte Software durch die Berechnung von Wahrscheinlichkeiten konkrete Tipps für Entscheidungen und Aktivitäten geben kann.
Diese neu entwickelten ActApps führen zu einem Unternehmen, dass in wenigen Jahren Hunderte von Millionen Nutzer gewinnt (siehe Facebook, WhatsApp und andere) und bei Regierungen und Geheimdienste Begehrlichkeiten schafft. Und dann gibt es die Gegenspieler, die vor dieser Macht über die Menschen, ihre Wünsche und Handlungen warnen (=ZERO).
Wer in den letzten Jahren die Entwicklung der digitalen Welt und den
zunehmenden Datenmissbrauch verfolgt hat, wird Probleme haben, die Beschreibung der
verschiedenen Ebenen des Datensammelns zu ertragen, aber nach etwa 50 Seiten ist alles in der sich entwickelnden Handlung erklärt.
ActApps manipulieren Menschen mit dem erklärten Ziel, ihr Leben zu verbessern. Doch damit wird natürlich auch Werbung (=Information) für einen bestimmten Lebensstil (=Konsumerismus) und Produkte betrieben.
Das erinnert an die Realität. Ich sage stets im Scherz, wenn sich die Modeindustrie einig ist, dass lila Zipfelmützen modisch sind, werden sich viele Menschen lila Zipfelmützen aufsetzen. Schöne Belege finden sich in den letzten Jahren, als junge Frauen anfingen, grob gestrickte "Kaffeewärmer" als Kopfbedeckung zu tragen.
Es wird im Roman immer wieder vor der Gefahr der Paranoia gewarnt, aber spätestens seit den Enthüllungen durch Edward Snowden sollte allgemein bekannt sein, dass Regierungen pauschal von allen Menschen und gezielt von vielen Millionen Menschen Daten sammeln und Profile anlegen.
Der Roman springt unvermittelt zwischen verschiedenen Ebenen und Akteuren. Da ist die britische Journalistin, die zunehmend und immer schneller das Ende der Privatsphäre erlebt. Da ist die Tochter und ihre Freunde, die zunächst selbstverständlich mit jeder ihnen gebotenen Software arbeiten, aber schließlich auch Zweifel bekommen. Die jungen Menschen leben in der realen Welt, sind aber praktisch die gesamte Zeit online und liefern rund um die Uhr Daten, damit die ausgewählten Apps immer genauere Handlungsvorschläge machen können. Dann sind da der Gründer des expandierten Unternehmens und seine Führungskräfte, sowie sein Sicherheitsteam, dass die gesammelten Daten gegen die Menschen einsetzt. Und da ist die Polizei mit ihrem scheinbaren Überblick (in London gibt es mehr als 100.000 öffentliche Kameras) und die Geheimdienste, die über Leichen gehen. Und die Gruppe ZERO, die immer wieder die Firma, die Medien und die Geheimdienste/Regierungen bloßstellen und jedes Statement mit Paraphrase nach Cato dem Älteren enden lässt "Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Datenkraken zerschlagen werden müssen."
Mehr will ich über die Geschichte nicht erzählen. Marc Elsberg hat einen rasanten Erzählstil, der zum Ende so sehr an Tempo aufnimmt, dass ich als Leser eine Pause einlegen musste, weil mein Puls unangenehm anstieg. Das Ende ist dann wieder ruhig und bei diesem Thema kein Happy End. Es ist ein Kriminalroman mit sehr wenigen Elementen des Science Fiction.
Lest das Buch! Lest es jetzt! Acht Tage einer Entdeckung der digitalen Überwachungsmöglichkeiten und ihrer Konsequenzen.
Marc Elsberg "ZERO - Sie wissen, was du tust", Blanvalet Verlag München, 2014, 480 Seiten.
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Ein Gespräch mit Marc Elsberg und Thomas Hillenbrand (Autor von Drohnenland, 2014) findet sich in der taz vom 2. August 2014
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