Donnerstag, 10. Mai 2007

Phasen der Kriminalisierung

In einem Monat wird der G8-Gipfel in Heiligendamm schon wieder Geschichte sein. Es wird durch die versammelten Regierungschefs wohlfeile Absichtserklärungen zu Problemen Afrikas geben, die wie schon die vielen Erklärungen der vorherigen Treffen an der Lebenswirklichkeit der Menschen dort nichts ändern werden.

Viel wichtiger als das G8-Treffen sind seit Jahren die Gegenveranstaltungen, die in ihrer Vielstimmigkeit ein realistischeres Abbild von den internationalen Problemen zeigen.
Leider meint unser Bundesinnenminister (und Staatsfeind Nr. 1, siehe Fußnote) Schäuble unterstützt von staatlichen und konservativen Medien diesen Protest zu kriminalisieren. „Eine andere Welt ist möglich“ (attac) und davor hat ein Großteil der wirtschaft-politischen Elite eine Höllenangst.
Natürlich gibt es auch innerhalb der globalisierungskritischen Gruppen einige Personen die konkrete Aktionen gegen den von ihnen definierten Feind organisieren und mit Sachbeschädigungen die Organisation und Durchführung des G8-Gipfels stören wollen. Die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens wird dann deutlich, wenn eine Verzögerung von einer Stunde in einem Programmpunkt zum Erfolg erklärt wird. Hinzu kommen die Jungmänner, die ihren Frust (auf Politik, ihr Leben und die Realität) in der anonymisierenden Uniform so genannter Autonomer durch Gewalt gegen Sicherheitskräfte austoben. Doch dies sind Minderheiten, radikale Minderheiten.

Der Staat schafft seit letztem Jahr eine Atmosphäre des Misstrauens und der Angst, die in der Öffentlichkeit jeden Protest als kriminelle Handlung erscheinen lässt:
  • Auf so genannten Informationsveranstaltungen der Polizei im Großraum Rostock-Heiligendamm werden Geschäftsleute speziell und die Allgemeinheit über die erwarteten Störer der öffentlichen Ordnung informiert. Einige Journalisten haben Teilnehmenden an so einer Veranstaltung danach ein Mikrophon unter die Nase gehalten und mussten nun hören, dass eine Angst vor plündernden, brandschatzenden Horden besteht.
  • Landwirte und andere Grundbesitzer die ein Geschäft mit dem Protest machen wollten in dem Sie große Flächen als temporäre Campingplätze verpachten, wurden massiv von der Polizei bedrängt und vor den Schäden gewarnt.
  • Innenminister und polizeiliche Führungskräfte geben in immer kleineren Abständen Presseerklärungen über das erwartete Gewaltpotential ab und schaffen damit systematisch ein Angstszenario in der Region.
  • Treffen von globalisierungskritischen Gruppen, in denen auch das Verhalten bei einem Polizeieinsatz thematisiert und trainiert wird, wie auch hier in Hannover, werden in den Medien als Trainingscamps für Radikale diffamiert. Es ist bestimmt kein Zufall das wie bei den Taliban die Wortkombination von Trainingscamp und Radikale benutzt. Wer schon einmal einen Polizeieinsatz erlebt hat, der weiß wie elementar erschreckend es ist, wenn eine Hundertschaft von bewaffneten Polizisten in Kampfuniform auf einen zustürmt. Es ist wichtig Neulinge auf diesen Schock vorzubereiten.
  • Die nächste Eskalationsstufe wurde gestern erklommen. 900 Polizisten stürmten Zentren und Wohnprojekte, in denen sich Gegner des G8-Gipfels regelmäßig treffen und ihre öffentlichen Aktionen organisieren. Der Tatvorwurf für die Hausdurchsuchungen wurde mit DEM Gummiparagraphen §129a Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung begründet. Und die staatlichen Medien spielten mit und bettelten den ganzen Tag um Krawalle, damit es „Action News“ gibt. Gestern Abend erlebte ich einen NDR-Fernsehreporter live aus einer Straße vor einem der durchsuchten Gebäude. Es war menschenleer, doch der Reporter und die Kamera verwiesen auf Altpapier, brennbares Holz in Müllcontainern und Bänken vor einem Café und es wurde von möglichen brennenden Barrikaden geträumt. Ist dies schon ein Aufruf oder eine Anstiftung zur Gewalt? Wurde der NDR danach durchsucht und der Reporter nach §129a angeklagt? Natürlich nicht!
Es geht doch nur um eins bei solchen Polizeiaktionen: Einschüchterung!
Denn die erstürmten und durchwühlten Häuser sind stadtbekannt. Wenn wirklich irgendjemand etwas Ungesetzliches plant, dann bestimmt nicht in diesen öffentlichen Räumen.

Eine Spaltung zwischen den Teilnehmenden, die sich ausschließlich an den Großkundgebungen mit internationalen Popkonzerten (Grönemeyer, Wir sind Helden, Chumbawamba, etc.) und den Protestlern, die zum Schutzzaun, der die gefährlichen G8-Menschen einsperrt, ist von der Politik erwünscht (divide et impera).

Einschüchterung funktioniert, wie ich selbst erleben musste. Nachdem ich in Gorleben über Stunden festgehalten wurde, habe ich für fast zehn Jahre nicht mehr an aktiven Protesten teilgenommen.

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Fußnote. Der Schutz der Verfassung ist eine der ursprünglichen und bis heute wesentlichen Aufgaben des Innenministers. Schäuble und sein unseliger Vorgänger Schily tun alles um Freiheiten der Verfassung einzuschränken und aufzuheben. Dies hat nur am Rande mit 9/11 zu tun. Beide verfolgen die Vision einer umfassenden Kontrolle, die alle Einwohner zu potentiell Verdächtigen macht. Deshalb ist die Bezeichnung Staatsfeind Nr. 1 keine Übertreibung.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Danke für diesen sehr guten Kommentar! Es gruselt zur Zeit ganz schön. Die biedere BRD versucht sich ein bisschen als Leviathan und das schmeckt mir überhaupt nicht. Vor allem, wenn man bedenkt wie stabil unsere Staatswesen über die letzten - sagen wir - 100 Jahre gewesen sind. Und eine totale Überwachungsmacht, die unter irgendeinem Stress in Panik gerät ist genau das, was man sich nicht wünschen sollte.