Ja, da war was! Dragahn gehört zur Gemeinde Karwitz und liegt sieben Kilometer westlich von Dannenberg. Im Süden führt die nun stillgelegte Bahnstrecke Uelzen-Dannenberg vorbei und der Bund besaß in Dragahn eine militärische Altlast (Die Hamburger Waaren-Commissionsgesellschaft AG betrieb von 1938-1945 in Dragahn eine Munitionsfabrik; in der Bundesrepublik wurde dort dann bis in die 1980-er Jahre Munition vernichtet), die über ein Anschlussgleis vom Bahnhof Pudripp zu erreichen war.
Am 1. November 1982 informierte der niedersächsische Ministerpräsident Dr. Ernst Albrecht Kommunalpolitiker im Wendland über seine Pläne in Dragahn eine Wiederaufbereitungsanlage (=WAA) für Atommüll errichten zu lassen. Im Februar 1977 hatte Albrecht hierfür zunächst Gorleben vorgeschlagen, doch der sich schnell entwickelnde Widerstand, der in den Gorleben-Treck nach Hannover mündete führte im Mai 1979 zu einer Regierungserklärung, in der diese Pläne für den Landkreis Lüchow-Dannenberg aufgegeben wurden. 1982 wurde zunächst darauf verwiesen, dass es sich hierbei nur um einen Verzicht des WAA-Standorts Gorleben gehandelt hatte.
(Gorlebenstein vor dem Pavillon in Hannover; Foto: JDM)
Die Deutsche Gesellschaft zur Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen (=DWK) gab dann auch schnell bekannt, dass sie den Standort Dragahn neben den Standort Wackersdorf, Bayern erkunden würden. 1983 gab es dann die ersten großen Demonstrationen gegen diesen Wortbruch des Ministerpräsidenten und vor allem gegen die weiteren Planungen das Wendland zu einem nur mit militärischen Mitteln zu schützenden Atomzentrum zu machen. Strategische Überlegungen waren eine der wesentlichen Grundlagen für die Auswahl des Wendlands.Am 30. April gab es dann ein spektakuläre Aktion von uns Atomkraftgegnern, über die ich mit den gehörigen Abstand nun wohl auch einmal berichtet werden darf. Für einen Tag sollte der Zugang zum Wendland behindert werden. Straßen sollten blockiert werden und damit der Politik gezeigt werden, dass Atomtransporte effektiv behindert werden können. An fünf Stellen sollten symbolische und konkrete Blockaden entstehen. Da alles offen diskutiert wurde, waren die Ordnungskräfte, die mit Sicherheit viele Spitzel unter den Demonstranten hatten, gut informiert und bereits "vor Ort". Doch wir Atomkraftgegner waren und sind nicht straff organisiert; es wurden schnelle Entscheidungen in Kleingruppen getroffen (es gab keine Rädelsführer!) und so wurden am 30. April trotz Verhaftungen von hunderten von AKW-Gegnern immer wieder in wenigen Minuten Blockaden aus den an den Waldrändern liegenden Stapeln von geschlagenen Holz errichtet. Dies geschah an so vielen Stellen und zum Teil mehrere Male an derselben Stelle. Denn nachdem die Polizei eine Blockade weggeräumt hatte und zum nächsten Einsatzort fuhr, wurde das Material "wiederaufgearbeitet" und fertig war die Blockade.
Solche Demonstrationen wurden im Herbst noch einmal wiederholt und am 4. Februar 1985 gab es einen Teilerfolg, als offiziell der Standort Dragahn für die WAA aufgegeben wurden und die DWK nun nur noch in Wackersdorf weiter arbeiten wollte.
Die Blockaden gegen die bisher elf Atomtransporte nach Gorleben haben also ihre Vorläufer. Heute definiert die Politik den Tag X (im kalten, nassen Spätherbst). In den 1980-er Jahrne definierten wir den Tag X.
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Quellen und weitere Informationen: Eigene Erinnerungen; ein autobiographischer Rückblick von Wolfgang Ehmke (29.03.2008) und ein Artikel von Kai Schöneberg zur Geschichte des Standorts Gorleben in der taz (07.11.2008).
Nachträge: Erinnerungen eines CDU-Politikers (Dezember 2008), Impressionen vom Aktionstag gegen die CASTOR-Transporte (November 2011)
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