(Deutschland, Estland 2010, 134 Minuten)
Drehbuch und Regie: Chris Kraus
Mit: Paula Beer, Edgar Selge, Tambet Tuisk, Richy Müller
Ein Film mit einem zeithistorischen Hintergrund hat oftmals eine lange Produktionsgeschichte. Besonders wenn ein Autor, Produzent oder Regisseur autobiographische oder familiäre Geschichten verarbeitet.
Der Film setzt vor dem 1. Weltkrieg ein und behandelt das elitäre Leben einer Familie der deutschen Minderheit (Deutschbalten) in der zaristischen Provinz Livland im heutigen Estland. Poll ist das Landgut. Der Gutsherr lebt auch architektonisch abgesetzt von den Esten in einer Villa auf Stelzen am Ende eines Piers in der Ostsee. Die Geschichte beginnt mit einem Tagebucheintrag der 14-jährigen Protagonistin Oda.
Der Autor und Regisseur erzählt Geschichten von seiner Großtante Oda Schäfer, die er selbst aber nie kennen gelernt hat. In deren Leben gab es sowohl das vernichtende Herrenmenschentum des biologischen Rassismus (der Vater), der eine Grundlage der Nazi-Ideologie wurde, wie auch die Rebellion dagegen (die Tochter Oda). Dieser Konflikt mündete ab 1933 für Oda Schäfer im Nazi-Deutschland in eine innere Emigration als Lyrikerin.
Der Regisseur erfuhr erst während seines Germanistik-Studiums nach der Lektüre eines Buches von Oda Schäfer, dass er mit dieser Frau verwandt ist. Die Familie hatte vollständig mit ihr gebrochen und sie hatte selbst im hohen Alter keinen neuen Kontakt zu ihrer Familie aufgebaut. Die Trennung war so endgültig, dass der Versuch einer Kontaktaufnahme des jungen Germanisten scheiterte.
Der Film ist Fiktion. Episoden aus den Leben wurden für die filmische Erzählung verändert oder sogar erfunden. Der Vater im Film hat wenig mit ihren wirklichen Vater zu tun. Dies muss deshalb betont werden, weil der Film eine Liebe zum Detail pflegt. Der Regisseur hat sich intensiv darum bemüht , das Leben einer deutsch-baltischen Familie in den Jahren vor 1914 zu rekonstruieren. Im nicht enden wollenden Abspann werden alle 800 beteiligten Personen genannt und darunter finden sich zum Beispiel auch Berater für den baltischen Dialekt des Deutschen oder auch Berater für die Sozialbeziehungen und Etikette innerhalb des Landadels. Hier wird zum Beispiel die Bedeutung von Hausmusik betont.
Diese Details erzählte der Regisseur nach einer Filmvorführung auf dem Festival Espoo Ciné in Espoo, Finnland. Er erzählte dort auch, dass es 15 Jahre vom ersten Skript bis zur Fertigstellung des Films dauerte. Der Wunsch nach einer Rekonstruktion führte zu immensen Produktionskosten von 8,5 Millionen Euro. Ohne Filmförderinstitutionen und Fernsehanstalten wäre dieses Geld nicht aufgebracht wurden.
Der Film handelt im heutigen Estland und lief deshalb dort auch mit vier Kopien und hatte insgesamt 14.000 Besucher. In Deutschland waren es bis Ende Juni 2011 knapp 125.000 Besucher (siehe FFA Monatsstatistik). Hiermit wird noch einmal deutlich, dass so ein Film nicht über Eintrittskarten refinanziert werden kann und deshalb solch anspruchsvolle Autorenfilme einer Förderung bedürfen.
Der Film ist, um den Regisseur wieder zu geben, ein emotionaler und politischer Film. Es ist eine Form der Aufarbeitung der Familiengeschichte. Von der Handlung wird hier nichts verraten, da der Film noch in einigen Kinos läuft und in absehbarer Zeit erst auf ARTE und dann vermutlich auch in der ARD (oder den dritten Programmen) zu sehen sein wird.
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