Dienstag, 15. Januar 2013

Buchtipp: Charles Perrault "Märchen aus alter Zeit"

Letzte Woche erhielt ich ein ungewöhnliches Geschenk. In einer Büchersammlung befand sich neben anderen Märchen auch eine deutsche Ausgabe (1976) der Märchen von Charles Perrault, die 1697 unter den Titel "Histoires ou contes du temps passé, avec des moralités: contes de ma Mère l’Oye" ergänzt um das Märchen "Peau d’Ane" (1694). Das ist im Moment meine Bettlektüre.

Gustave Doré "Der gestiefelte Kater"
Als wir in der gymnasialen Oberstufe für mehrere Monate Märchen analysierten, lernten wir, dass die Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm Märchen aus vielen Ländern versammelten. Besonders kann ich mich daran erinnern, dass der gestiefelte Kater aus den südlichen Frankreich oder dem heutigen nördlichen Italien stammt. Die Religionsflüchtlinge Hugenotten, die sich im späten 17. Jahrhundert u.a. in Nordhessen und Südniedersachsen niederließen, brachten ihre  Märchen, Mythen und Erzählungen mit und hier in der genannten Region sammelten Jacob (1785-1863) und Wilhelm Grimm (1786-1859) viele ihrer Volksmärchen.

Märchen waren bis dahin für mich ein abgelegtes Thema der Kindheit. Uns wurden als Kinder Märchen vorgelesen und ich kann mich daran erinnern, dass ich wieder und wieder Geschichten in einer voluminösen Grimm-Sammlung gelesen habe. Nun frage ich mich gerade, wo dieses Familienbuch geblieben ist.

Es war erhellend, zu verstehen, dass viele Märchen einen Schema folgen (3 Aufgaben, 3 Krisen, 3 Fragen) und das es Varianten der Geschichten gibt. Damals wurde auch sehr kurz erwähnt, das sich Märchen auch psychologisch analysieren lassen.
Zwei Jahrzehnte später fand ich eine Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen von 1825, die mich an meine Kindheitserinnerungen zweifeln ließ. Das wurde zwar auch bereits in der Schule angesprochen, aber hier merkte ich erstmals deutlich, wie weit die Märchensammlung, die ich als Kind gelesen hatte, sich von den frühen Ausgaben unterschied, wie die Geschichten Kind gerecht weich gespült wurden.

Charles Perrault (1628-1703) hat sich die Märchen nicht selbst ausgedacht. Es gibt italienische Drucke, die in Frankreich bekannt waren, doch hat er "seine" Märchen aus den Vorläufern und Erzählungen neu geschrieben und den  Geschichten, wie der Titel bereits sagt, in Versform eine Moral hinten angestellt.
Welche Märchen versammelt nun dieses wunderbare Buch mit Stichen von Gustave Doré (1832-1883).
  • Die schlafende Schöne im Wald, die uns als Dornröschen bekannt ist. Hier gibt es viele Veränderungen bis zur Grimmschen Fassung, der rettende Prinz ist ein direkter Verwandter; sie haben deshalb versteckt Kinder, bis er als Thronerbe mit Frau und Kindern der neue König wird.
  • Das Rotkäppchen ist genauso naiv wie bei Grimm, doch hier gibt es kein glückliches Ende. Der Wolf frisst Rotkäppchen in deren Großmutters Haus und Ende der Geschichte.
  • Die Geschichte von Blaubart kannte ich bisher nicht und ich habe nun auch erfahren, dass diese Geschichte nur über die Märchensammlung von Ludwig Bechstein (1801-60), der parallel zu den Gebrüdern Grimm sammelte, bekannt ist.
  • Der gestiefelte Kater begegnet uns hier genauso wie in der Grimm-Sammlung.
  • Das Motiv des Märchen "Die Feen" taucht als Motiv in der Frau Holle auf. Aus Dankbarkeit wird eine Tochter eine Quelle von nicht endenden Reichtum und aus Undankbarkeit wird deren Schwester eine Quelle für Frösche und Schlangen. Hier gibt es eine kleine kritische (?) Variante, denn die höfliche Tochter wird von einem Prinzen geheiratet, der den Wert des unendlichen Reichtums erkennt. Die unhöfliche Schwester stirbt alleine im Wald. 
  • Aschenputtel wird hier in der Variante erzählt, die von Walt Disneys Cinderella bekannt ist. Bei Grimm erhält Sie nur Kleider und und edel bestickte Schuhe, hier verwandelt eine Fee Kürbis, Mäuse, Ratte und Eidechsen in Kutsche, Pferde, Kutscher und Lakaien und gibt ihr gläserne (!) Schuhe. In der Wikipedia wird darauf verwiesen, dass Perrault hier vermutlich ein Missverständnis aus den gehörten Geschichten eingeführt hat. Das Winterfell des Eichhörnchens heißt "en vair"und Glas "de verre" Glas. Das edle Winterfell war damals nachweislich ein Statussymbol für Adel und Klerus. Eine weitere Abweichung findet sich zum Ende. Während bei Grimm die bösen Schwestern mit einem Messer sich Zeh bzw. Ferse abhacken, um in den Schuh zu gelangen, fehlt hier dieser blutige Betrugsversuch. Bei Grimm werden den Schwestern am Ende auch noch die Augen ausgehackt, während hier beide an Adelige verheiratet werden.
  • Riquet mit dem Schopf. Diese Geschichte schaffte es weder zu den Gebrüder Grimm, noch zu irgend einer anderen deutschen Sammlung. Ein hässlicher aber intelligenter Prinz trifft eine schöne aber dumme Prinzessin. Beide lassen den anderen an ihren guten Eigenschaften teilhaben und sind danach schön und intelligent.
  • Der kleine Däumling
  • Eselshaut .
Zwei Märchen werden mir noch die nächsten Abende versüßen und entsprechend wird dieser Eintrag demnächst ergänzt.

Quellen:
Charles Perrault "Märchen aus alter Zeit", illustriert von Gustave Doré, übersetzt von Dorothee Walterhöfer. Abi Melzer Verlag, Buchschlag 1976.
Brüder Grimm "Kinder- und Haus-Märchen", Neuausgabe der Kleinen Ausgabe von 1825 durch den Haffmanns Verlag, Zürich 2001.

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