Sonntag, 6. Oktober 2013

Buchvorstellung B. Gaus - Amerika

Bettina Gaus
Auf der Suche nach Amerika. Begegnungen mit einem fremden Land
Frankfurt am Main: Eichborn, 2008

Bettina Gaus ist taz-Korrespondentin. Als sie im Herbst 2007 für drei Monate durch den ländlichen Raum der USA reiste, waren ihre Beobachtungen, Begegnungen und Gespräche vor dem Wahljahr 2008 in langen Reportagen als Serie in der Zeitung zu lesen. Dieses Buch dokumentiert die gesamte Reise.
Vorbild ist eine Reise des US-Schriftstellers John Steinbeck im Herbst 1960 (Travels with Charley: In Search of America). Er begann seine Rundreise während des Höhepunkts des Wahlkampfes zwischen John F. Kennedy und Richard Nixon. Bettina Gaus folgt seinem Spuren und besucht viele der Orte, die im Reisebericht von Steinbeck erwähnt werden. Der Unterschied ist doppelt, zum einen reist sie vor den Vorwahlen, als auf Seiten der Republikaner und Demokraten noch keine Entscheidung für den Präsidentschaftskandidaten gefallen ist und zum anderen führt eine Frau andere Gespräche mit den Zufallsbekanntschaften.
Denn dies ist ein wesentliches Element der Reportagen und des Buches. Sie sucht die "Normalen" und versucht mit ihnen Gespräche über deren soziale, wirtschaftliche und politische Situation zu führen. Sie reist ohne Adressbuch und folgt damit keinen Empfehlungen von befreundeten US-Bürgern oder anderen Journalisten, sondern setzt auf den Zufall der Begegnungen mit Personal und anderen Gästen in Besuchszentren, Cafés und Motels, der dann zu längeren Gesprächen führt.
Es ist eine mutige und bewusste Auseinandersetzung mit den eigenen Vorurteilen, die das Bild der Menschen in den USA prägen. Sind diese wirklich so Waffen vernarrt, außenpolitisch unbedarft, religiös und freundlich oberflächlich.

Es ist Herz erfrischend, den optimistischer Tonfall zu lesen. Sie schreibt von einer Hochstimmung, die sie bewegt, als sie New York hinter sich lässt. Sie reflektiert bereits an den ersten Tagen über die Verklärung der Fremde, die speziell zu Mythen über den US-Amerikaner und sein Land führten. Doch es gibt natürlich auch Verhaltensformen, die in Europa und speziell in Deutschland nicht oft zu finden sind, wie Hilfsbereitschaft ohne Hintergedanken und Diskretion. Es wird einem geholfen und Ende des Kontakts.
Die Gespräche handeln auch immer wieder von Deutschland, denn wenn die Angesprochenen von ihrer Herkunft erfahren, werden Stereotypen und Vorurteile über unser Land nachgefragt, die ähnlich fremd sind, wie deutsche Beschreibungen der USA und seine Bewohner.
Bemerkenswert für jeden Reisenden mit offenen Augen sind die erheblichen sozialen Unterschiede. Ich spreche nicht von den Villen, die ob nun in Deutschland oder den USA oftmals nicht zu sehen sind, sondern die andere Seite, die bei uns in Sozialwohnungen lebt und in den USA in verrottenden Trailern, Slums oder Indianerreservaten. Die unrealistischen Träume oder manchmal sogar Hoffnungslosigkeit sind bemerkenswert. Migration ist wesentlich für die USA, aber es ist nicht nur eine Zuwanderung. Es gibt Regionen, die in der aktuellen Phase der Deindustrialisierung erst die Arbeitsplätze und dann die Hoffnungsvollen und gut ausgebildeten verlieren. Bettina Gaus passiert kleine und große Städte, die in den letzten 50 Jahren ein Drittel bis die Hälfte ihrer Bevölkerung verloren haben.

Als Historiker fasziniert, wie Geschichte vor Ort erinnert und dargestellt wird. Es ist eine Geschichte der Sieger. Scheinbar wird jedem Weißen, der im Kampf gegen Indianer starb, gedacht, aber zur Geschichte der Indianer und der schwarzen Sklaven finden sich nur wenige Erinnerungsstätten. "Geschichte" kommt als kostenpflichtige Show mit Eintrittsgeld und zusätzlichen Kosten für jede "Attraktion". Disneysierung! Nicht nur negativen Episoden in den USA sondern auch im Ausland (Vietnam) werden verdrängt.
Die beschriebene Segregation nach Lebensentwürfen und vor allem nach sozialen Gruppen hat interessante Folgen. Die Seniorensiedlungen mit ihren spezifischen Angeboten für ihre Bürger haben nur wenige junge Familien. Die werden aber wiederum für eine gesellschaftliche Aufgabe wie die Freiwillige Feuerwehr benötigt. Oder Schulen werden mangels Kinder geschlossen und für die verbleibenden Familien bedeutet dies, lange Fahrwege für ihre Kinder in Kauf zu nehmen oder den Ort verlassen und damit die Segregation verstärken.
Alle Beschreibungen sind dabei stets selbstkritisch begleitet, denn John Steinbeck schrieb bereits in seinem Bericht: "Was ich hier niederschreibe, ist so lange wahr, bis ein anderer dieselbe Strecke fährt und die Welt nach seinen Vorstellungen neu arrangiert." (zitiert nach B. Gaus, "Auf der Suche nach Amerika" S.50)

Die Verteidigung des Waffenbesitzes in den USA ist für viele Menschen in Europa nur schwer nachzuvollziehen. Argumente wie, dass jährlich mehr als 3.000 Jugendliche und Kinder in den USA durch Schusswaffen getötet werden, werden Beiseite gewischt, da es nun mal Verrückte gibt und deren Fehlverhalten nicht Maßstab für die vernünftigen Waffenbesitzer sein sollte. Die Argumentationen zeugen davon, dass die "Waffennarren" (meine Wortwahl) zumindest den Waffenbesitz reflektieren.
Die fehlende Kritikfähigkeit vieler US-Amerikaner findet sich mehrmals auf der Reise. Sinclair Lewis, der wie auch John Steinbeck nur früher den Literatur-Nobelpreis verliehen bekam, hat den Ort seiner Jugend nicht positiv beschrieben. Das hat die Stadt selbst 80 Jahre später nicht verziehen.

Bettina Gaus hat einen angenehmen Humor. Ihre behutsam eingestreute Ironie, die manchmal auch in Polemik abgleitet, ist verständlich und ist stets mit sich wiederholenden Merkwürdigkeiten (zum Beispiel: "Hall of Fame", Missionskirchen) begründet. Kopfschüttelnd notiert sie Aussagen zu Genmais oder der Todesstrafe oder abfällige Bemerkungen von weißen Gesprächspartnern über Schwarze oder Indianer. Doch auch Indianer und Schwarze reden abfällig über die jeweils anderen.
Es wird ein Bild gezeichnet, in dem die Menschen nebeneinander aber nicht miteinander leben. Doch in diesen Punkt unterscheidet sich die USA nur wenig von Deutschland. Schon vor 25 Jahren sagte ein Freund, als die Gewerkschaften die Kampagne gegen Ausländerfeindlichkeit unter dem "mach meinen Kumpel nicht an" startete, sei realistisch und sage mir, wie viele ausländische Freunde du hast.
Patriotismus und generell der Glaube, dass die USA das beste Land der Welt ist, wird immer wieder thematisiert. Fragen nach den US-Flaggen vor Privathäusern oder den ständigen Absingen der Nationalhymne bei allen Gelegenheiten, werden nicht verstanden. Aber im positiven Gegensatz zu Europa wird die USA von vielen Gesprächsteilnehmern als eine Einheit verstanden. Wenn in einem Nachbarstaat oder am anderen Ende der USA etwas passiert, interessiert das viele Menschen. Hier in Europa ist der Mehrzahl der Menschen doch egal, was in Rumänien oder in Bulgarien passiert, auch wenn sie sich selbst als Europäer verstehen.

Drei Monate sind eine lange Zeit und wie auch ihr Vorbild John Steinbeck macht sich zum Ende eine Sättigung und Ermüdung bemerkbar. Die Muße ein Bundesstaat zu bereisen und hier und dort Gesprächspartner zu finden ist vorbei. So wie Bettina Gaus froh war, New York zu verlassen, ist sie nun froh wieder von dort das Land zu verlassen.
Ich könnte noch viel mehr nacherzählen und anmerken, aber es sollte dem Leser dieser Zeilen bereits klar sein, wie anregend dieses Buch ist.
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Aktuell (Herbst 2013) wird das Buch für 4,95 Euro von 2001 verkauft.

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