Laibach, das ist Kunst und wie jede Kunst ist es im besten Sinne anstrengend, es kann nicht beiläufig konsumiert werden.
Die slowenische Band Laibach spielte am Donnerstag, dem 19. April 2007 in der 60er-Jahre-Halle vom Kulturzentrum Faust. Es war ein teures Konzert für €24,20, aber der Aufwand und die Vielzahl von Beteiligten rechtfertigten den Preis.
Laibach gehören zum Künstlerkollektiv NSK und sind in ihrer Kombination von Musik, Outfit, Texten, Filmen und Bildern seit mehr als zwanzig Jahren immer wieder missverstanden wurden. Musikalisch wird ihre Musik mit der Vielzahl von Kollagen dem Industrial zugeordnet. Es könnten aber auch die Label Noise und Avantgarde verwendet werden. In Interviews betonen die Mitglieder stets, die Ironie und Travestie ihrer Shows und Medienprodukte.Beim Betreten der 60er-Jahre Halle war ich ein Fremdkörper. Die Farbe des Abends war keine Farbe, sondern Schwarz. Einige Kostüme waren zu sehen: Schwarze Ledermäntel, die zum Teil fast bis zu den Schuhen reichten, viele Menschen in schwarzen Schnürstiefeln, ich sahen einen Menschen mit der alten Uniformjacke eines GI und einer der komplett in schwarz mit Barett gekleidet war. Dies waren alles Männer. Der Frauenanteil im Publikum war sehr gering, doch dort gab es auch schwarzes Leder und in einen Fall schimmernden, schwarzes Latex oder war das Gummi (?). Dies Frau hatte über die Breite beider Schultern Hannover in Fraktur auf ihren Rücken tätowiert.
Es mögen schließlich 300 Menschen gewesen sein, die gespannt auf den Beginn der Show warteten. Laibach spielte zum allerersten Mal in Hannover. Vor etwa zehn Jahren sollen sie schon einmal in Hildesheim aufgetreten sein. Es hatte sich also eine gewisse Szene hier versammelt, die sich offensichtlich und gut hörbar schon lange nicht mehr gesehen hatte. Es wurde ausgiebig und laut geredet. Um 21:00 Uhr wurde es im Saal dunkler und nachdem zuvor Barmusik (Klavier und seichte Orchesterbegleitung nahe an Muzak) aus den Boxen tropfte, ertönte nun ein vielstimmiger Männerchor und intonierte eine Hymne. Und dann kam noch eine Hymne und noch eine Hymne, und noch eine und noch und.
Es war dies Gesang in einer Sprache aus dem ehemaligen Jugoslawien. Wie heißt die Sprache jetzt korrekt? Die Unterschiede zwischen Kroatisch, Serbisch und Bosnisch sind relativ gering, alle sind Teil der südslawischen Sprache (=jugo slawischen). Ich verstand nur einige geographische Wörter wie Skopje, ansonsten war es der Grauen der Hymnen mit ihrem Pathos. Erst bei der zweiten oder dritten Hymne kam einer der vielen Mitarbeiter von Laibach, die für Sound + Vision der Show verantwortlich waren auf die Bühne und stellte die Beamer an. Für mich ein klares Zeichen, dass es noch 5-10 Minuten dauern würde, bis diese Geräte die notwendige Betriebstemepratur haben.
Die Hymnen sollten die Einstimmung in die Show VOLK sein. Auf der CD und in der Show VOLK werden etwa ein Dutzend Nationalhymnen interpretiert und durch visuelle Elemente kommentiert. Deutschland - USA - Großbritannien - Russland - Frankreich - Italien - Spanien - Israel - Türkei - China - Japan - Slowenien -Vatikan.
Wie beschreibt man die Stimme des Sängers. Diese Verbrauchtheit und Tiefe ist sonst nur von Tom Waits bekannt, doch hier geht die Stimme noch weiter runter. Zur Linken war ein Mann an Tasten und Samplingmaschine, im Hintergrund ein Keyboarder und das dominante Schlagzeug. Am rechten Bühnenrand sang eine Frau.
Was war zu sehen und zu hören (meine Interpretationen, Informationen und Texte der Hymnen können über diese Metaseite aufgerufen werden):
- Deutschland wurde mit einem Ausschnitt aus einem Dokumentarfilm etwa des Jahres 1949 kommentiert. Es begann mit dem Aufstehen in einer Familie mit drei Kindern und einem regierenden Vater. Textzeilen auf der Leinwand stammten aus der 1. Strophe des Lieds der Deutschen und hierzu wurden Bilder aus den Ruinen deutscher Städte gezeigt. Das Lied endete mit dem Zubettbringen der drei Kinder in einem großen Bett, wo die Kinder die Hände über der Bettdecke in Gebetshaltung hielten. Deutschland, ein Land von Zucht und Ordnung
- God Save the Queen zeigte eine sadistische alte Frau, die vier Menschen in ihren Körper anliegenden Käfigen quält und mit deren Blut große Kreuze auf den hellen Körpern malte. Das waren die vier Kinder von Queen Elisabeth II und ihnen wurde das rote Kreuz auf weißen Untergrund, die Fahne des Teilstaaten England aufgemalt.
- Star Spangled Banner erinnerte an diese Merkwürdigkeit in den USA. Eine Sängerin stand am Bühnenrand und intonierte die Hymne.
- Zur Gimn Rossijskoi Federazii wurde mit der Symbolik des russisch-orthodoxen Kreuzes gespielt. Dessen Spitze tauchte in vielen Varianten von den Seiten der Leinwand auf und zum Schluss des Liedes war schließlich zu erkennen, dass es sich um die Kreuze auf dem Kreml handelt. Der Diktator Vladimir Putin spielt schließlich auch nun wieder mit der russischen-orthodoxen Kirche, um seine Macht mystisch zu erhöhen.
- Die Marseillaise ist bekannt für ihren lyrischen Blutrausch und dies war Grundalge der Visualisierung. Alle Schimpfwörter gegen die Anderen , die Fremden, die es in großer Zahl in diesem Lied gibt wurden in ihrer englischen Übersetzung projiziert und dann war zunächst eine Guillotine zu sehen, die ihr blutrotes Messer nach unten fallen ließ und schließlich zwei, drei, vier und mehr Kopien dieses Tötungsgerätes, dass zum Teil im Takt der Musik arbeitete.
- Fratelli d'Italia
- Zum Marcha Real Spaniens tauchten Symbole (Stier) und Stereotype auf.
- haTikwa "Solange ist unsere Hoffnung nicht verloren, die Hoffnung, (...), zu sein ein freies Volk, in unserem Land, im Lande Zion und in Jerusalem!" visualisierte die Zweiteilung des Territoriums. während auf der linken Seite der Leinwand Dreiecke sich drehten und immer wieder für Momente ein Davidstern entstand, tauchten auf der rechten Seite die graphischen Elemente der palästinensischen Flagge auf, die ebenfalls nur für Momente eine wieder erkennbare Fahne bildeten. Die linke und die rechte Seite gingen schließlich ineinander über und so war auch ein Davidstern auf einer Fahne von Palästina zu sehen.
- Istiklâl Marsi besingt unter anderem Mond und Stern auf der roten Fahne. Die Anbetung des Gründers der türkischen Republik wurde ironisiert in dem Ata Atatürk sich immer wiederholte.
- Beim Marsch der Freiwilligen aus China wurde die Wiederholung des Pathos immer deutlicher. Wir sind die Besten, wir überwinden das böse Alte und alle Feinde um uns herum. Chinesische Zeilen bewegten sich als großen Überschriften durch das Bild.
- Kimi Ga Yo aus Japan kam sehr leicht daher. Japanische Buchstaben schwebten wie Schneeflocken herab.
- Die slowenische Hymne Naprej zastava slave bringt den nationalen Wahn auf den Punkt: "auf zum Gefecht, du heldenhaftes Blut, zum Wohl des Vaterlandes soll sprechen das Gewehr! Mit der Waffe und der Rechten bringen wir dem Teufel Donner, ins Blut das Recht zu schreiben, das fordert unser Heim".
Und dies ist es auch was den Nationalismus prägt. Eine staatlich propagierte Massenpsychose, die bisher mehr Menschenleben gefordert hat, als anderen Formen von Gewalt.
Dieser Teil der Show endete mit dem Abspielen einer weiteren Hymne, während die Musiker kurz die Bühne verließen
Danach wurden noch einige Lieder vom Album WAT aufgeführt. Tanz mit Laibach war deutlich eine Referenz an die Deutsch-Amerikanische Freundschaft (bekannt von Der Moussolini, 1982). Es folgte dann sogar eine Komposition von DAF. Das war Tanzmusik, die auf der Bühne als Marschmusik gezeigt wurde. Links und rechts vom Sänger standen jeweils am Bühnenrand eine Frau vor einem Standbecken, was ich in dieser Form seit Peter Behrens von Trio so nicht mehr gesehen hatte, und bearbeiteten dieses mit großen schwingenden Bewegungen und kleinen militärischen Gymnastikübungen.
Der zweite Teil der Show war relativ kurz und es gab keine Zugaben, da alles wohl kalkuliert und inszeniert ist.
Und nun zur Publikumsbeschimpfung. Es gab viele Analphabeten im Publikum, was eigentlich noch keine Beschimpfung, aber in unseren Kulturkreis zeugt es von selbst gewählter Ignoranz. In der Ankündigung zu diesem Konzert wurde geschrieben, dass die Show VOLK aufgeführt wird. Nationalhymnen, auch in der Interpretation von Laibach haben ruhige Momente oder sollen prinzipiell etwas Erhabenes ausdrücken. Wenn der alles überwältigende Sound von Laibach zur Ruhe kam und eine Frauenstimme zum Beispiel die chinesische Hymne sang, war dies nur schwer zu verstehen, da mindestens ein Drittel der Zuschauer sich für diese Show nicht interessierten und sich lautstark unterhielten. Viele sogar mit dem Rücken zur Bühne. Geht nach Hause, spart das Geld und nervt mich nicht!
Und es gab Kampfsäufer, die dann auch noch aggressiv wurden. Ein bedrohlicher, breiter zwei-Meter-Mann drohte und schlug zweimal heftig auf andere Besucher ein. Nur seine Freundin konnte ihn aus den Publikum zum Rand drängen.
Zum Abschluss: 90 Minuten einer ungewöhnlichen Show. Das war wirklich etwas auf die Ohren, selbst mehr als eine Stunde später war im Ohr noch ein Rauschen zu hören. Wie nach einem Museumsbesuch kann dies nicht mit einfachen Adjektiven beschrieben werden. Es war vor allem sehr interessant und oftmals unterhaltsam.
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Nachtrag Mai 2012: Timo Vuorensola hat ein gutes Händchen bewiesen, als er für seine NAZI-SF-Satire "
Iron Sky" Laibach engagierte. Da wird wird zum Teil Musik wie in den Kriegsfilmen (deutsche wie allierte) angestimmt.
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3 Kommentare:
27. April 2007 00:46 Stefan hat gesagt…
Das
DU auf ein Konzert von Laibach gehen würdest, ist das letzte, was ich erwartet hätte!
Aber nachdem ich diesen Artikel gelesen habe, klingt alles so plausibel, dass ich es mir jetzt rückblickend doch vorstellen kann.
Ich fand Laibach immer nah an Ramms+ein, welche du ja bekanntlich nicht ausstehen kannst.
Grüßchen, Stefan
27. April 2007 10:45 Ulaya hat gesagt…
Oh, ich habe noch viel Musik in meiner Sammlung, die überhaupt nicht zum
Rest passt. Musik ist nun mal ein Stimmungsverstärker und eine dauerhafte Erinnerungsstütze an Situationen und Personen.
15. Mai 2007 21:54 CoolBee hat gesagt…
Fotos von diesem Konzert habe ich hier geposted, wen's interessiert:
http://barbara-muerdter.blogspot.com/2007/04/laibach-am-19-april-2007-in-hannover.html