Die Freunde der Romane und Erzählungen von Jules Verne wissen aus seiner Biographie und aus Bibliographien, dass einige seiner Werke nicht ins Deutsche übersetzt wurden.
Dies umfasste u. a. LE CHEMIN DE FRANCE aus dem Jahre 1887. Nun liegen gleich zwei Übersetzungen vor. Einmal die Übersetzung von Gudrun Hermle (Verlag Sven R. Schulz, Berlin 2012) und eine Gruppenübersetzung unter der Leitung von Prof. Dr. Ralf Junkerjürgen, die im ABLIT Verlag (München 2013) erschien. Die vollständige bibliographische Angabe findet sich am Ende dieses Beitrags.
Eine Gruppe von Studierenden aus Frankreich und Deutschland am Institut für Romanistik der UNI Regensburg schuf die deutsche Fassung unter der Leitung eines Übersetzers (Prof. Junkerjürgen) eines weiteren bisher nicht übersetzten Roman von Jules Verne. Eine der Übersetzerinnen informierte mich frühzeitig über das Projekt und so wurde mir durch Subskription sofort nach Drucklegung ein Exemplar zugeschickt.
Dies als Vorwort, doch ich möchte hier den Roman vorstellen.
Der Weg nach Frankreich schildert die Flucht einer kleinen Gruppe von Franzosen und Nachkommen von ausgewanderten Protestanten aus Frankreich von Belzig im preußischen Brandenburg ins nördliche Lothringen im Sommer 1792.
Es gibt oftmals einen Ich-Erzähler bei Jules Verne, doch hier ist es etwas besonders, da der Erzähler kein Gebildeter ist, sondern ein Sohn eines Bauern aus der Picardie, der erst im Alter von 31 Lesen und dann Schreiben lernte.
Es ist also eine bewusst einfache Sprache, die oftmals einen mündlichen Erzählstil folgt.
Wesentlich ist auch der sprachliche Hintergrund der Picardie mit seinen regional typischen Redensarten und Ausdrücken. Hier zeigt sich besonders gelungen die Gruppenübersetzung durch junge Menschen aus Frankreich und Deutschland. Die einen können die Redensarten und regionale Ausdrücke überhaupt als solche erkennen und die zugrunde liegenden Bilder recherchieren, während die anderen Formulierungen und Bilder im Deutschen benennen, die dem entsprechen. Oftmals werden diese sprachlichen Besonderheiten durch Anführungszeichen betont und mit dem Zusatz "wie wir in der Picardie sagen" ergänzt. Dies betont noch stärker den mündlichen Erzählstil, da der Erzähler seine Geschichte für seine in ganz Frankreich beheimateten Freunde niederschreibt.
Erzählt wird die Geschichte von einem alten Mann von 66 Jahren, der von seinem 18. bis 54. Lebensjahr vom einfachen Soldaten bis zum Hauptmann aufstieg. Der Offiziersrang hing davon ab, dass man Lesen und Schreiben kann, weshalb die beginnende Alphabetisierung während der Handlung so eine große Bedeutung hat. Der Rückblick nach 35 Jahren bedeutet auch, dass der Erzähler den historischen Kontext der Konflikte und ihres Ausgangs kennt. Dieses Springen zwischen der Handlung und erläuternden historischen Rückblenden und Verweisen auf die Zukunft ist das dritte Merkmal dieses Erzählstils.
Das letzte Merkmal der Erzählung ist der sehr persönliche Ton, die dem Erzähler gegeben wurde. Dieser ist oftmals pathetisch und für einen modernen Leser nur dadurch zu ertragen, dass man sich in diesen Momenten an den gewählten Erzählstil erinnert.
Der Erzähler, seine ältere Schwester, ein älterer französischer Händler und seine erwachsene Tochter werden des Landes verwiesen, weil Preußen dem revolutionären Frankreich den Krieg erklärt hatte. Die preußische Regierung gab ihnen hierfür einen Pass, eine vorgegebene Route, die an jeden dort genannten Ort abgestempelt werden musste und ihnen dafür maximal 20 Tage zustand. Die Ausweisung wird zur Flucht auf der gleichen Route, als der deutsche Verlobte, der französischen Tochter und dessen Mutter sich ihnen anschließen. Der junge Mann war zum Militärdienst eingezogen wurden, hatte einen handfesten Streit mit einem Offizier und war nun als zum Tode verurteilter Deserteur auf der Flucht in das Land seiner Ahnen.
Als Widerpart gibt es zum einen den deutschen Offizier, der auch die junge Frau begehrte und Kopfgeldjägern. Da aus vielen östlichen Landesteilen Truppen und ihr Gefolge zur französischen Grenze ziehen, ist es ein wiederkehrendes Trennen und Wiederfinden zwischen den Ausgewiesenen und Flüchtenden auf der Route.
Der Pathos der Akteure zum Ende hin ist für einen modernen Leser gewöhnungsbedürftig.
Hier ist eine kleine Schwäche dieser Ausgabe. Neben den Originalillustrationen von Georges Roux wurden auch neue Zeichnungen angefertigt. Doch zum einen wurden die 35 Originale nicht in den Text eingefügt, sondern nur als Anhang geliefert und zum anderen wurden zwei Landkarten des Originals überhaupt nicht wiedergegeben. Eine oder mehrere, auch neu gezeichnete Karten würden manchmal das Lesen erleichtern, wo es jetzt nur Aufzählungen von Orten und Staaten des deutschen, politischen Flickenteppichs sind. Auch das Finale rund um den Argonnerwald würde durch eine klare Karte besser nachzuvollziehen sein. Die neu gefertigte Skizze mag zwar künstlerisch wertvoll sein, ist aber kartographisch unleserlich.
Der Roman erschließt die Person Jules Verne als französischen Patrioten, der durch die Ereignisse des Deutsch-Französischen Krieges 1870-71 seinen Widerwillen gegen die Deutschen, genauer die Preußen und ihr Verhalten zu Papier bringt. Diese anti-deutsche Tonfall ist es auch, der damals die deutschen Herausgeber in Wien und Berlin davon abhielt, diesen Roman in ihr deutsches Gesamtwerk von Jules Verne aufzunehmen. Es werden auch wirklich einige der üblen Eigenschaften des preußischen Militarismus und des deutschen Untertanengeistes dargestellt. Im Nachwort dieser Ausgabe schreibt der Verne-Biograph und -Übersetzer Volker Dehs (Ko-Herausgeber der Briefe zwischen J. Verne und seinen Herausgebern Hetzel sen. und jun.), dass der zeitgleich publizierte Roman Die fünfhundert Millionen der Begum, der den deutschen Militarismus anprangert, übersetzt wurde.
Es sollte mehr von diesen Kollektivübersetzungen mit Menschen aus der Originalsprache und dem Deutschen geben. Deutsche Lektoren machen gute Arbeit, aber dieser Ansatz ist sehr vielversprechend. Andere Kollektivübersetzungen mit regem Austausch im Team haben schließlich bereits einen hohen Standard definiert, wie in der Edgar A. Poe-Ausgabe von Hans Wollschläger und Arno Schmidt (und Anderen) und seinen publizieren Begleittexten zu sehen ist.
Jules Verne
Der Weg nach Frankreich
Gruppenübersetzung unter der Leitung von Ralf Junkerjürgen
Erschienen zusammen mit
Der Graf von Chanteleine
und einem Nachwort von Volker Dehs
Reihe Avventura Mediterranea Band 5
Ablit Verlag, München, 2013, S. 129-324 und 394-465.
ISBN: 978-3-935410-18-2
1 Kommentar:
Hallo,
schöne Rezension. Ich würde aber empfehlen für manche gemachte Aussage mal die Ausgabe der Erstübersetzung (Jules-Verne-Club, TB-Ausgabe Dornbrunnen-Verlag) zu konsultieren. Es dürfte da nicht nötig sein den ganzen Band nochmals zu lesen, schon die Fußnoten und der Anhang dürften da aufschlußreich sein. Und das Original-Bildmaterial inklusive der Karten ist da auch enthalten...
Mit besten Grüßen
Jules-Verne-Club für Deutschsprachige
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