Sven Böttcher
Prophezeiung
Kiepenheuer & Witsch
2011
446 Seiten.
Science Fiction schreibt manchmal Informationen und Entwicklungen der Gegenwart einfach nur fort. Es besteht dann die Gefahr, dass die Geschichte in wenigen Jahren überholt und für Leser uninteressant sein wird.
Dieses Dilemma hatte ich zuletzt beim Roman ZERO von Marc Elsberg (2014) beschrieben. Dort ging es um den Trend der Selbstoptimierung, in dem Menschen individuelle Daten über soziale Netzwerke und Apps an nicht durchschaubare Datensammelfirmen geben. Doch wird dies in 5 oder 10 Jahren noch jemand interessieren oder aufregen, wenn die Datenabgabe eine Grundbedingung für Vergünstigungen ist und Verweigerer mit schlechten Service oder höheren Ausgaben bestraft werden?
Sven Böttcher hat einen Thriller zur Klimaforschung und den daraus resultierenden politischen und wirtschaftlichen Folgen geschrieben. "Prophezeiung" verarbeitet das Wissen der Klimaforschung vor dem Jahr 2010.
Das ist nach dem 4. Sachstandsbericht des UN-Weltklimarates IPCC. Im IPCC-Bericht werden u.a. auch Kippelemente diskutiert, die den Klimawandel radikal beschleunigen. Die IPCC diskutiert Prognosen der globalen Temperatur am Ende des 21. Jahrhunderts und damit Eisschmelze und den daraus erfolgenden Meeresspiegelanstieg.
Im Roman Prophezeiung kalkuliert ein geheimes Rechenzentrum aus globalen Messwerten und einer Verkettung von natürlichen Zyklen (Sonnenflecken, Schwankung der Erdachse, Entfernung Erde-Sonne, etc.), dass der Kipppunkt des Klimawandels jetzt erreicht ist. Es wird eine Klimakatastrophe mit mehr als 100 Millionen Toten in einem Jahr vorhergesagt.
Sven Böttcher entfaltet ein Panoptikum von Haupt- und Nebenpersonen, die viele der vor einem Jahrzehnt vertretenen Positionen zum Klimawandel, seinen Ursachen, seinen Folgen und den Möglichkeiten zum Eingreifen repräsentieren.
Leider setzt der Autor einen Schwerpunkt auf Positionen der Klimakritiker, also der "Wissenschaftler" und Politiker, die den menschlichen Einfluss auf den Klimawandel klein reden und vor allen natürlichen Ursachen betonen. Es gab Fehler im 4. IPCC-Bericht, aber diese wurden bestätigt und korrigiert und die Fachwissenschaftler betonen den menschlichen Einfluss auf den Klimawandel. Vielen der Kritiker konnte zwischenzeitlich nachgewiesen werden, dass diese von der "alten" Energieindustrie (Kohle, Öl, Gas) finanziert wurden.
Der Roman ist spannend und lesenswert. Es gibt Idealisten, Pragmatiker, Selbstdarsteller und Menschen, die über Leichen gehen, um ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen zu schützen. Es wird aus drei Perspektiven erzählt. Der Zusammenbruch der Systeme für Strom, Abwasser, Lebensmittel- und allgemeinen Warenverkehr führt zu Panik, Plünderungen und Flucht aus den Küstenregionen, in denen das Wasser sehr schnell steigt. Einige Beschreibungen des Chaos sind abstoßend, aber die Masse Mensch wird wohl so reagieren, wenn es um das Überleben geht und jeder andere Mensch zu einem Konkurrenten von Essen und Trinken wird.
Die Zivilisation ist nur eine Firnis der modernen Gesellschaften wie bei längeren Stromausfällen immer wieder in den Nachrichten dokumentiert wird. Es ist erschreckend wie scheinbar "normale" Menschen die Gelegenheit zum Plündern ergreifen und andere Menschen angreifen.
Der Roman wurde 2011 veröffentlicht und wird bald veraltet sein. In 10-20 Jahren wird es wieder ein spannender Roman sein, wenn dieser Blick auf eine Zukunft nur noch Fiktion ist.
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