München: Manhattan Verlag
Nach dem wunderbaren Erzählband "Die Reise nach Trulala"(2002) war "Mein deutsches Dschungelbuch" (2003) eine Ernüchterung (siehe meine Rezension), doch Karaoke ist wieder leichte Unterhaltung.
Das Buch versammelt in 10 Kapiteln und einem Vorwort Geschichten aus der Entstehung und dem Umfeld der Russendikso. Diese werden mit russischen Erinnerungen verknüpft. Oft spöttisch, meistens ironisch wird die damalige Realität in der Sowjetunion geschildert. Ein System, das alle Aspekte des Lebens kontrollieren wollte und auch an diesem Allmachtsanspruch grandios scheiterte und dabei viel Leid schuf.
Die Russendisko im Kaffee Burger in Berlin, die Wladimir Kaminer mit Yuriy Gurzhy (der Vorname wird im Buch Jurij geschrieben) 1999 etablierte und damit Russendisko zu einen Markenbegriff machte, läuft offensichtlich mit so viel Alkohol und Chaos, dass jedes Jahr unzählige haarsträubende Erlebnisse verzeichnet werden.
Die Russendisko geht seit Jahren auch auf Tournee und ich habe im Rahmen des Masala-Festivals nach einen herausragenden Konzert der 17 Hippies DJ Yuriy Gurzhy erlebt. Für mich war dieser Fun-Punk aus Moskau und Leningrad befremdlich und es waren "nur" die sowjetischen Zeichentrickfilme, die mich schließlich fast zwei Stunden in der Russendisko im Pavillon hielten.
Im Kapitel "Schlechte Vorbilder" schreibt Kaminer über diese Filme und die unterschiedliche Sozialisation in Ost und West. Es wird die russische Version von Winnie Po von 1969 gezeigt und die westlichen Besucher fragten dann nach, wer denn dieses schwarze Schweinchen sei. Kaminer kommentierte dagegen die Disney-Version von 1977 mit:
"Dieses kleine gelbe Wesen mit der piepsigen Stimme sah für mich wie eine überernährte, genetisch manipulierte Maus aus" (S.31)Es ist dies ein Buch aus der Mitte des Lebens eines Lebenskünstlers. Da alle Geschichten in der realen Welt handeln, war ich als Leser geneigt, einzelne Erlebnisse mit eigenen Beobachtungen und Erfahrungen zu vergleichen. Gleich mehrmals wird der exzessive Alkoholkonsum im Umfeld der Russendisko erwähnt. Ich hatte am Ende meiner Rezension des Films "Populärmusik aus Vitulla" über das Saufen in Norddeutschland geschrieben und noch einmal unter den Titel Mit Flatrate Komasaufen bis zur Flatline über meinen Ekel vor diesen Betrunkenen formuliert. Dies sind dann auch die Passagen in diesen Buch, die mir nicht gefallen und mich an unsere neue Realität in Hannover erinnern, mit jugendlichen Russlanddeutschen mit halb geleerter Wodkaflasche in der Hand grölend auf dem U-Bahn-Steig.
Für jemanden, der Kaminer schon kennt, ist dies ein weiteres nettes Buch für die Bettlektüre. Alle anderen sollten mit einem seiner früheren Bücher beginnen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen