Wie auch bei anderen weltbewegenden Ereignissen (Mondlandung, Tsunami) kommt im Gespräch irgendwann die Frage „und wo warst du, als dich die Nachricht erreichte?“.
Ich war im Industriegebiet von Fallingbostel, Niedersachsen. Ich saß in einem großen Besprechungszimmer eines multinationalen Betriebs und redete mit Arbeitern und Angestellten über die Geschichte der Anwerbung und Immigration von ausländischen Arbeitskräften.
Zu der Zeit arbeitete ich in einem Ausstellungsprojekt der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung zur Zuwanderung nach Niedersachsen seit 1945. Es war ein Termin mit älteren Arbeitnehmern, die in den späten 1960-er Jahren in Spanien angeworben wurden. Meine Aufgabe war es, mögliche Exponate und Interviewpartner für die Landesausstellung einzuwerben. Ich hatte bereits das Projekt vorgestellt und meine Gesprächspartner erzählten in relativ entspannter Atmosphäre aus ihren Biographien. Auf den Tisch lagen bereits einzelne alte Arbeitsgeräte, die damals verwendet wurden.
Der besuchte Industriebetrieb hat vorbildlich gehandelt und für die neuen Arbeiter schon damals Deutschkurse organisiert. Einer der Arbeiter erklärte sich zu diesem Zeitpunkt bereit, dass wir seine Biographie als langes Interviews aufnehmen können und für Texte in der Ausstellung verwenden dürfen. Irgendwann war alles gesagt und ich verließ den Betrieb.Plötzlich öffnete sich die Tür, ein Mitarbeiter schaute rein und sagt ganz aufgeregt, dass da ein Flugzeug in ein Hochhaus in New York geflogen ist. Wir schauten ihn an und schauten uns an, aber es wurde kein Wort gesagt. Das Unverständnis erkennend, schloss sich die Tür auch wieder schnell. Wir waren für 1-2 Minuten abgelenkt, sprachen dann aber wieder über das weite Thema Migration und die Schwierigkeiten der Integration.
Ich hatte an diesen Nachmittag noch einen weiteren Gesprächstermin in der Stadt. Jemand hatte Exponate für die Gruppe der Flüchtlinge und Vertriebene der Jahre 1945-1950 angeboten und wollte mich vom Werkseingang abholen.
Mir wurden verschiedene Exponate gezeigt. Es gab sogar Einmachgläser, die 1945 auf der Flucht mitgenommen wurden. Ich kann mich heute gar nicht mehr erinnern, ob auch nur ein Exponat dieser Familie für die Ausstellung ausgewählt wurde. Ich hatte aber alle möglichen Objekte notiert und ließ mich dann zum Bahnhof fahren.Er kam verspätet und fragte gleich, ob ich schon die Nachricht gehört habe. Zu diesem Zeitpunkt war schon klar, dass es kein Unfall, sondern ein Terroranschlag war. Ich hatte davon bisher wenig gehört. In diesem Moment konnte ich nur wenig entgegnen. Wir fuhren zu seinem Haus und hörten unterwegs eine Dauernachrichtensendung. Im Haus wurde zunächst der Fernseher angeschaltet und ich sah zum ersten Mal, wie das zweite Flugzeug in einen Turm des WTC flog und dort explodierte. Wir redeten nicht über den Anlass meines Besuchs, sondern sahen gemeinsam für eine unbestimmte Zeit Fernsehen, sahen den Einsturz des ersten Turms und wieder und wieder den Einschlag des 2. Flugzeugs.
Irgendwann konnte ich diese Bilder nicht mehr sehen. Ich bat schließlich darum, dass wir uns von diesen sprachlos machenden Nachrichten lösen und zum Thema meines Besuchs kommen.
Nach langem Warten kam schließlich eine Regionalbahn, die an jeder Milchkanne haltend, mich schließlich zurück nach Hannover brachte. Auf dieser langsamen Annäherung an die Stadt begann ich die Nachricht aus den USA zu verarbeiten.
Ich war nicht alleine im Zug, immer wieder stiegen Menschen zu und aus und manchmal unterbrachen Gesprächsfetzen meine Gedanken. Da stiegen zum Beispiel zwei aufgeregte männliche Jugendliche ein, die sich über das Gesehene unterhielten. Die gewählten Worte ließen mich zunächst vermuten, dass sie über einen Action Film oder ein Computerspiel sprachen, doch es ging um die Bilder aus New York.
In mir stieg eine Angst auf, denn es war mir sofort klar, dass die Ereignisse in den USA zu einem Krieg führen würden. Zu einem Krieg, der plötzlich anfangen könnte und durch die Solidarität unter den Angreifern und den Angegriffenen viele Länder betreffen würde. Eine konservative US-Regierung mit einer unberechenbaren Führung, konnte auch einfach mal so einen Angriff fliegen. Es war dies eine Angst, die ich seit der Friedensbewegung der frühen 1980-er Jahre nicht mehr gespürt habe.
Der US-Krieg gegen den Terror (Fortsetzung des Krieges gegen Drogen) begann dann später und hatte wenig bis gar nichts mit den Tätern und ihrer Organisation zu tun.
... und damit gebe ich die Eingangsfrage an meine regelmäßigen Leserinnen und Leser weiter: Wo warst du, als dich die Nachricht von den Terror-Anschlägen erreichte?
1 Kommentar:
ja, dass weiss ich noch ganz genau, es war der erste Arbeitstag nach meinen*Flitterwochen*. Ich färbte gerade einer Kundin die haare, die am nächsten Tag nach Kanada fliegen wollte, um dort ihren Urlaub zuverbringen. Da in unserem Salon immer das Radio läuft, war ich relativ schnell über die Sachlage informiert. Abends sah ich dann das ganze Übel im TV, habe aber relativ schnell abgeschaltet, weil ich mir das einfach nicht dauerhaft ansehen kann. Jetzt nach 10 Jahren und nach Lektüren verschiedener Quellen, habe ich meine ganz eigene Meinung über das Geschehen gebildet.
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