In der taz am wochenende thematisiert Ralf Pauli das Problem von Schulbüchern, die nicht mehr die Realität widerspiegeln. In vielen Lehrbüchern gibt es weiterhin die Deutschen und die Anderen, auch wenn heute mehr als ein Drittel der Schülerinnen und Schüler einen sogenannten Migrationshintergrund haben.
Schulbücher sind eine Ware. Ihr Angebot basiert auf den Lehrplänen der Bundesländer und der Nachfrage durch die Schulen. Lehrpläne werden regelmäßig angepasst und wenige Jahre später finden sich diese Veränderungen in den Publikationen der Schulbuchverlage.
Doch gibt es eine Persistenz in Themen, Beispielen und Wortwahl.
In den 1990-er Jahren habe ich dies als Mitglied einer Arbeitsgruppe am Historischen Seminar erlebt. Damals gab es einen neuen Lehrplan "Geschichte in der SEK II". Außereuropäische Geschichte war als ein Thema vorgesehen.
Unsere Gruppe erarbeitete Beispiele aus der Geschichte Mexikos, Chinas und mehrerer afrikanischer Territorien für die Schule. Selbst leitete ich die Afrika-Gruppe. Wir wollten weg von der bis dahin in den Schulbüchern gelehrten Kolonialgeschichte.
Kontakte mit Schulbuchverlagen führten zumindest zu einem Seminar am Braunschweiger Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung. Dort stellten wir den Wissenschaftlern vom Institut und anderen Universitäten unsere Zwischenergebnisse vor. Wir fanden keinen Verlag, gewannen aber einen Buchpreis der UNI Hannover für unser Projekt.
Unser 148-Seiten-Schulbuch wurde 2002 als kostenfreier Download veröffentlicht. Selbst habe ich das Kapitel "Afrika gibt es nicht" verfasst. Die vier Afrika-Beispiele sind einzeln über die Seiten des Historischen Seminars zu erreichen:
Pierre-Marie Courdouen "Zwischen zwei Kolonialreichen - Algerien im 19. Jahrhundert"
Gunnar Meyer "Transatlantischer Sklavenhandel - Das Beispiel Dahomey" (heutige Benin)
Birgit Niemeyer "Der Maji-Maji-Krieg" (heutige Tanzania)
Mark Holthoff "Mfecane" (heutige Südafrika)
Doch zurück zum taz-Artikel. Die aktuellen Schulbücher reproduzieren Stereotype. Migration wird als ein Problem für Deutschland und für die Zuwandernden dargestellt. Dieses Bild hat etwas mit den bereits erwähnten langen Vorlauf einer Publikation zu tun.
Die Gesellschaft verändert sich, Jahre später wird als Reaktion darauf im Kultusministerium eine Anpassung der Lehrpläne initiiert. Bis diese erstellt sind und die Schulbuchverlage ihre Publikationen anpassen vergehen wieder einige Jahre. Am Ende hinken Schulbücher der Realität mehr als ein Jahrzehnt hinterher.
Im Fall der Kolonialgeschichte, die sich seit den 1960-er Jahren in der Forschung über eine kritische Kolonialgeschichte zur außereuropäischen Geschichte (1980-er Jahre) entwickelte, war dieser Prozess Anfang des 21. Jahrhunderts noch nicht in den Lehrmaterialien für Schulen angekommen. Texte in Schulbüchern begannen, Kolonialgeschichte kritisch zu beleuchten und waren etwa 30 Jahre hinter der wissenschaftlichen Diskussion.
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