Dienstag, 8. März 2016

Science Fiction aus der Sowjetunion

Science Fiction 1
Wissenschaftlich-phantastische
Erzählungen aus Rußland
(Übersetzung: Ruth Elisabeth Riedt)
piper paperback, München 1963

Es handelt sich um neun Kurzgeschichten, die 1958 bis 1960 in Moskau erschienen.
Sie wurden in einer Phase geschrieben, als die russische Raumfahrt im Wettbewerb mit der US-amerikanischen die Nase vorne hatte (Sputnik, 1957). Positivismus prägt die Geschichten und es ist ein Blick in einer Zukunft, die fast immer bereits wieder Vergangenheit ist.
Im letzten Jahr wurde dieser Blick in die Zukunft international gefeiert, als die US-Filmserie "Zurück in die Zukunft" (1985-1990) wieder in die Kinos kam. Der zweite Teil dieser Trilogie handelte im Jahre 2015 und mit Amüsement wurde nun dieser Film mit der Wirklichkeit verglichen. Was konnten die Autoren vor 26 Jahren erahnen, wo lagen sie total falsch.

Drei der Geschichten, die ich hier als 2., 4. und 5. vorstelle, möchte ich ausdrücklich empfehlen. Die Mehrzahl dieser sowjetischen Erzählungen handeln in einer nahen Zukunft ohne Jahreszahl.
Nur die erste Geschichte "Erwachen im 20. Jahrtausend" von Wladimir Sawtschenko wagt einen großen Sprung in die Zukunft. Nach den persönlichen negativen Erlebnissen des 1. und 2. Weltkriegs und der Angst vor einem 3. lässt sich der Protagonist in der Wüste Gobi in einer Metallkapsel einfrieren, um in einer besseren Zukunft wieder zu erwachen.
"Ein einziger Wahnsinniger kann so viel Unheil anrichten, dass tausend Weise uns nicht davor zu retten vermögen"
(S. 15f.)
18.000 Jahre später ist die Wüste eine Waldsteppe und es gibt keine Hinweise auf menschliches Leben. Der Mensch hat sich scheinbar selbst ausgerottet. Stattdessen leben Menschenaffen im Wald, die erste Werkzeuge benutzen und in der Graslandschaft auf ihren Hinterbeinen gehen. Diese sehen ihn als Feind und greifen ihn an.
Doch es gibt den modernen Menschen, der zum Beispiel riesige Naturschutzgebiete ausgewiesen hat, die er beobachtet und so das Auftauchen des Vorzeitmenschen aus dem Jahre 1952 registriert und ihn rettet.

Anatolij Dnjeprow hat mit der "Insel der Krebse" eine anti-militaristische Geschichte geschrieben. Lernende und sich selbst reproduzierende Maschinen sind weiterhin Zukunft. Die Geschichte wurde 1975 für das ZDF verfilmt und war für mich als 13-jähriger eine Horrorgeschichte (vollständiger Text der Erzählung).
Auf einer Insel werden kleine mechanische Krebse ausgesetzt, die mit Solarenergie betrieben in ihren Inneren Rohstoffe so weit verarbeiten können, dass neue Krebse entstehen. Über die Generationen entwickeln sich verschiedene Formen und Größen. Irgendwann sind die Rohstoffe erschöpft, die Krebse kannibalisieren sich und ihre Vielzahl wird von immer größeren Exemplaren verdrängt. Eine Parabel für die einzelnen Staaten, die sich bekämpfen und die Erde ausbeuten. Doch am Ende existiert nur noch ein hoch gerüsteter Staat, der nun seinen Hunger auf anderen Welten beseitigen will.

Ein ähnliches Motiv wählten die Gebrüder Arkadij und Boris Strugazkij für ihre Erzählung "Der weiße Konus Alaids". Die Menschheit hat bereits viele der Planeten und ihrer Monde erreicht. Wissenschaftlicher haben ein "Ei" entwickelt, dass als Pionier auf unbekannten Welten landen soll. Mit Sensoren ausgestattet analysiert diese lernende Maschine zunächst die gesamte Umgebung ihres Standorts, um dann aus den erkannten Rohstoffen ein Habitat für nachkommende Menschen zu bauen. Das Ei ist noch in der Entwicklung und die Geschichte handelt auf der dünn besiedelten Insel Schumschu (nördliche Kurilen). Alles verläuft, wie im Labor programmiert, bis es zur Explosion kommt. Der Mensch hat in seinen Kriegen an vielen Stellen Waffen hinterlassen, so dass selbst die Geschichte eine Insel vor ihrer Nutzung erforscht werden sollte. Das Ideal der technischen Weiterentwicklung vernachlässigt die kulturelle Entwicklung.

Ein lernender Computer, der ein Bewusstsein erlangt, ist die Grundlage einer weiteren Erzählung von Anatolij Dnjeprow, "Maschine ER, Modell Nr. 1". Die Maschine wird täglich mit Tageszeitungen gefüttert, deren Information gewinnträchtige Blicke in die nahe Zukunft ermöglichen. Als der Besitzer durch diese Prognosen zu reich und gierig wird, begreift die Maschine, dass der Besitzer im nächsten Schritt den Computer durch ein besseres, teureres Modell ersetzen wird.

Viktor Saparin "Der Himmelskulu" spielt mit dem Gegensatz der Betrachtung einer Erforschung aus der Sicht der "überlegenen" Forscher von der Erde und den Einheimischen, welche diese Fremden in ihr Verständnis der Welt einfügen wollen.

Das Heroische in Georgij Gurewitsch "Das Infra des Drachens" ruiniert beinahe seine Raumfahrterzählung, die über unser Sonnensystem hinausführt.

Eine weitere Erzählung der Gebrüder Arkadij und Boris Strugazkij handelt von Experimenten mit den menschlichen Gehirn. In "Die sechs Streichhölzer" geht es darum, dass die scheinbar wenig genutzten Teile des Gehirn durch Neutrinos angeregt werden sollen.
Es ist dies eine eher schwache Erzählung, wie auch die beiden von mir nicht erwähnten Geschichten (Inhaltsübersicht).

Die hier versammelten Science Fiction sind Unterhaltungsliteratur. Selbstironisch möchte ich mit einer Perle aus "Das Infra des Drachens" enden:
"Es ist durchaus kein Verdienst, sich mit unzeitgemäßen Probleme abzugeben."
(S. 220)

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