Straßennamen erinnern mich stets daran, dass die wohl größtmögliche Ehrung bzw. Demütigung, die einem Menschen widerfahren kann, die Benennung eines Ortes, Objektes, Preises, einer Krankheit oder Eigenschaft ist.
Um mit einem negativen Beispiel anzufangen, sei auf den österreichischen Schriftsteller Leopold von Sacher Masoch (1836-1895) verwiesen, der sich bestimmt nicht gewünscht hat, dass der Psychiater Richard von Krafft-Ebing ihn 1896 als Namenspaten für den Masochismus einführte. Aktuell kämpft die Stadt Schmallenberg, dass ein sich ausbreitender Virus bei Schafen, Rindern und Ziegen nach ihr benannt ist, weil dort die ersten Fälle beobachtet wurden. Und das die Spanische Influenza (1918-1920) nicht von Spanien ausging, sollte auch schon lange bekannt sein. Das John Montagu, der vierte Earl of Sandwich (1718-1792) bis heute im Sandwich weiterlebt, ist dagegen eher amüsant. Doch auch eine Inselkette im Südatlantik wurde 1775 von James Cook nach dem Marineminister Sandwich benannt.
Straßennamen in jedem Ort erzählen etwas über seine Geschichte und die Namen auf den Schildern verweisen auf die Personen, die vom Stadtrat als wichtig erachtet wurden. Viele Orte haben aber auch Personennamen auf den Schildern, die keinen Bezug zu diesem Ort haben, aber aus politisch opportunen Gründen, verewigt wurden.
Während der Nazi-Zeit wurden viele Plätze und Straßen umbenannt, um die "neue" Zeit anzuzeigen. In neu bebauten Straßen und Plätzen wurden lebende und tote Götter und Götzen der Nazis geehrt. In Hannover wurden zum Beispiel die zentrale Bahnhofstr. in Adolf-Hitler-Straße und der Corvinusplatz vor der Stadthalle in Hermann-Göring-Platz umbenannt.
1945 bestand die Entnazifizierung u.a. auch darin, dass die alten Straßennamen wieder eingeführt wurden. In den neuen Straßen wurde offensichtlich nicht so genau hingeschaut und so verblieben Personen, die von den Nazis geehrt wurden, auf einigen Straßenschildern. Es fehlte damals auch die Entschlussfreude, die Ehrung von Militaristen und Kolonialisten zu beenden. Die britische Militärverwaltung kannte wohl nicht die unrühmliche Vergangenheit einiger Geehrter.
Sie jetzt wieder von diesen Straßenschildern zu entfernen ist mühsam und oftmals mit erheblichen Protest der Bewohner der Adressen verbunden.
Hier in Hannover war es zum Beispiel der Carl-Peters-Platz in der Südstadt, der seit 1916 diesen Rassisten und Mörder ehrte, der für das Deutsche Kaiserreich die Grundlagen der Kolonie in Ostafrika schuf. Das auf dem Platz von den Nazis errichtete Denkmal wurde schließlich 1988 um einen Text ergänzt und der Platz 1991 nach der Pazifistin, Schriftstellerin und Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner (1843-1914) benannt.
Hannover hat etwa 4.000 Straßen- und Platznamen und aus seiner Tradition als preußischer Garnisonsstandort finden sich noch Krieger und Nazis den Straßenschildern, die nicht geehrt werden sollten:
- Alfred von Waldersee, verantwortliche General bei der Niederschlagung des so genannten Boxeraufstandes und Ehrenbürger (Walderseestr., Hannover-List, seit 1904)
- Die dichtende Hitler-Verehrerin und Nazi Agnes Miegel (Miegelweg, Hannover-Badenstedt, seit 1965)
Hinzu kommen, all die Namen, die an die koloniale Vergangenheit erinnern sollen. In Hannover ist dies vermutlich auf Erich Obst, dem Autor des 13-bändigen Kolonialhandbuchs (1941-43), der bis 1938 und wieder ab 1945 Professor für Geographie war, zurückzuführen.
Die Erinnerung an die Kolonien in Afrika wurde im sogenannten Afrikaviertel in Hannover-Badenstedt durch die Ostafrikastraße, den Kamerunweg (früher Kamerunstraße, beide seit 1937), den Togoweg und die Windhukstraße (beide seit 1959) und allgemeiner durch den Savannenweg und den Safariweg (beide seit 1965) gepflegt. Früher wurden bereits die Afrikaforscher und Kolonialpolitiker Gustav Nachtigal (N-straße in Hannover-Südstadt, seit 1928) und Hermann Wissmann (W-straße in Hannover-Südstadt, seit 1928 - siehe auch meinen Beitrag zu Wissmann in Bad Lauterberg) mit einem Straßenschild geehrt. Hinzu kamen der Afrikaforscher Gerhard Rohlfs (R-straße in Hannover-Südstadt, seit 1939) und der einflussreiche Hamburger Kolonialhändler und -politiker Adolph Woermann (W-straße in Hannover-Badenstedt, seit 1939)
Nicht jedes Straßenschild muss neu beschriftet werden, manchmal reicht eine Erläuterung um aus einer Ehrung ein Denk-Mal zu machen und die Menschen daran zu erinnern, dass es schon immer Beispiele dafür gab, dass die Falschen geehrt werden.
Doch in Hannover hat man auch noch eine andere Lösung für die falschen Namen auf einem Straßenschild gefunden. Im Fall von Nachtigal und Wissmann gibt es noch andere Personen mit diesem Familiennamen, denen mit einem Straßenschild ein Denkmal gesetzt werden konnte. Jetzt hängen an den Straßenschildern Erläuterungen, die keinen Hinweis auf den ursprünglichen Namensgeber zeigen.
Das letzte kritisiere ich an der Umwidmung, Ohne den Halbsatz (Zunächst nach Gustav Nachtigal benannt, jetzt nach Johann Carl Christoph Nachtigal...) haben Menschen der Gegenwart und der Zukunft keine Möglichkeit die Entwicklung der Erinnerungskultur nachzuvollziehen und sich mit der Geschichte des Ortes und der dort geehrten Personen zu beschäftigen.
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Die Verknüpfungen führen in der Regel zu den biographischen Einträgen in der Wikipedia.
Außerdem sei auf Helmut Zimmermann (1992) "Die Straßennamen der Landeshauptstadt Hannover", Verlag Hahnsche Buchhandlung verwiesen.
Der Streit um die Umbennung der Lettow-Vorbeck-Allee ist in einem Artikel der HAZ (abgerufen am 14.05.2012) zusammengefasst. Bemerkenswert ist dort auch die Inhaltsleere von einigen der trollenden Kommentare.
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Update 2015: Nun werden wieder Straßennamen in Hannover diskutiert. Hinrich Wilhelm Kopf verlor schon die Ehrung, dass der Platz vor dem Landtag nach ihn benannt war. Fritz Beindorff (Pelikan) wird auch die Ehrung verlieren, dass eine Straße zwischen Vier-Grenzen und Eilenriede nach ihn benannt ist. (siehe Blog 9. November 2015)
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