Dienstag, 23. Februar 2010

The Pervert’s Guide to Cinema

The Pervert’s Guide to Cinema ist der provokante Titel eines Dokumentarfilms von Sophie Fiennes. Der slowenische Psychoanalytiker und Philosoph Slavoj Žižek spricht in diesem sehr unterhaltsamen und lehrreichen Film über verborgene Elemente und Themen, die nach seiner Analyse offensichtlich erscheinen.
In drei Teilen werden vor allem Filme von Alfred Hitchcock und David Lynch vorgestellt, die auch der Allgemeinheit für ihre verstörenden Elemente bekannt sind. Der Dokumentarfilm ist keine einfache Vorlesung über die psychologischen Hintergründe, sondern die vielen Thesen von Slavoj Žižek werden an den Orten der Filme ausgeführt. Dies kann eine Re-Inszenierung in einem Studio sein oder eine Szene an einem Originalschauplatz.

Zwei Beispiele mögen dies Illustrieren.
In der Eingangssequenz von „Die Vögel“ (Alfred Hitchcock 1963) fährt die Protagonistin Melanie Daniels (gespielt von Tippi Hedren) mit einem kleinen Motorboot in den Hafen von Bodega Bay, CA ein, wo sie von Mitch Brenner (Rod Taylor) bereits erwartet wird, als sie plötzlich von einer Möwe angegriffen wird. Slavoj Žižek fährt in einem baugleichen Motorboot in der gleichen Haltung wie die Protagonistin in den Hafen von Bodega Bay und erläutert dabei den verborgenen Inhalt dieser Szene (Vogelangriff = Gewalt der Mutter, damit sie ihren Sohn nicht verliert).

ODER
Ein Teil von „Mulholland Drive“ (David Lynch 2001) wird analysiert, während Slavoj Žižek in einem baugleichen Auto sitzt wie die Protagonistin Camilla Rhodes in der zweiten Szene des Films. Wie im Film wird der Erzähler immer wieder von entgegenkommenden Autoscheinwerfern geblendet und diese Erläuterung endet abrupt wie im Film (dort durch einen Frontalzusammenstoß).

Dieses Prinzip des Aufsuchens und Re-Inszenierens von emblematischen Szenen wird auch bei der Analyse von „Vertigo“ (Hitchcock 1958), „Psycho“ (Hitchcock 1960), „The Conversation“ (Francis Ford Coppola 1972), „Blue Velvet“ (Lynch 1986), „Matrix“ (Andy und Larry Wachowski 1999) und anderen Filmen benutzt.
Diese Beispiele zeigen vielleicht bereits, warum dieser lange Dokumentarfilm (ich habe die drei Teile von insgesamt 154 Minuten an drei aufeinander folgenden Abenden gesehen) für einen Filmfreund so unterhaltsam ist.
Slavoj Žižek ist ein Schüler des französischen Psychoanalytikers Jacques Lacan und wendet dessen Erkenntnisse auf die Populärkultur an. Die drei Teile des Films „The Pervert’s Guide to Cinema“ widmen sich Sehnsüchten/Triebe, Fantasie in der Sexualität und schließlich dem Verhältnis von Illusion und dem Wunsch diese in die Realität zu überführen.
Der Film ist seit einigen Monaten in Deutschland exklusiv als DVD bei Zweitausendundeins für €17,90 zu haben. Slavoj Žižek spricht mit hartem osteuropäischen Akzent Englisch, doch gibt es bei Bedarf auch eine Übersetzung ins Deutsche als Untertitel. Da auf der DVD der WDR als Mitproduzent genannt wird, dürfte der Film in mehreren Teilen auch einmal im Nachtprogramm der Dritten zu sehen sein. Der Film ist offiziell ab 16 Jahre (ich würde sagen ab 21 Jahre) und darf entsprechend erst nach 22 Uhr gezeigt werden.
Ich empfehle ausdrücklich den Kauf der DVD!

The Pervert’s Guide to Cinema (Großbritannien, Österreich, Niederlande, 154 Minuten, 2006; Ausgabe mit deutschen Untertiteln September 2009)
Der Film hat eine eigene Webseite inklusive einem Ausschnitt der das Prinzip der Re-Inszenierung zeigt.

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