Montag, 26. November 2012

Film Die Stadt der verlorenen Kinder (1995)

Es war einmal ...

ein schnell alternder Mann, der nicht träumen kann und deshalb mit einer Maschine die Träume von kleinen Kindern stiehlt.

Dieses zweite Jointventure von Jeunet und Caro (Drehbuch und Regie) für die große Leinwand ist ein Märchen für Erwachsene. Neben der angedeuteten Geschichte, werden Episoden gezeigt, die alle etwas mit der Kindheit und Jugend zu tun haben.

Dies sind zum Teil Referenzen an Filmfiguren. Offensichtlich ist der Bezug auf die Serie aus der Stummfilmzeit, die in Deutschland unter den Namen "Die kleinen Strolche" bekannt ist. Doch es gibt auch einen Bezug zur Star Trek Universum mit ihren bösen Borgs, die mit Technik u.a. ihre optischen Möglichkeiten erweitern. Die CyBorgs in diesem Film sind eine ironische Umkehrung mit einem religiösen Wahn, denn erst verlieren sie ihr Augenlicht, um dann mit einem Okular eine beschränkte, technische Sicht auf die Welt zu haben. Dennoch halten sie sich für Einäugige unter Blinden, welche nun auf den richtigen Weg zur Erlösung sind.

Die Kinder geben nicht freiwillig ihre Träume her, sondern werden von den eben genannten Zyklopen entführt und an den alternden Mann verkauft. Eines der Kinder ist der kleine "Bruder" eines kindlichen Riesen (gespielt von Ron Perlman). Es ist nicht der Bruder, sondern ein ewig hungriger Junge, der von den Erwachsenen beschützt und versorgt wird. Der Junge wird entführt und damit ist der weitere Verlauf der zentralen Geschichte vorgezeichnet.
Die anderen Kinder sind kriminelle Waisen, die daraus eine Frühreife erlangt haben. Das Mädchen aus der Bande wird zur kleinen "Schwester" des Riesen und hilft ihn bei seiner Suche nach seinem "Bruder".

Jean-Pierre Jeunet und Marc Caro haben eine überbordende Phantasie und vielen Episoden verweisen auf Kindheitserinnerungen. Sei es nur der alte Jahrmarkt mit ungewöhnlichen Menschen, die ihre Tricks und Fähigkeiten zeigen oder etwas wie der Kraftmesser, der mir unter den Namen "Hau den Lukas" bekannt ist.
Oder Weihnachten aus den Augen eines Kindes wenn ein fremder Mann im roten Kostüm mit weißem Bart erscheint. Diese Szene wandelt sich aber in diesem Film von einer Idylle zu einem Albtraum.
Hinzu kommt, dass Caro und Jeunet in der Ausstattung starke Anleihen beim Steampunk nehmen, also der Ästhetik, die das späte 19. Jahrhundert mit technischen Fortschritt des späten 20. Jahrhunderts kombiniert. Dies ist besonders deutlich bei der Technik der "Bösen".

Der alte Mann lebt auf einer künstlichen Insel und ist wie alle anderen auf der Insel Ergebnis von Experimenten. Neben den schnell alternden leben dort eine kleinwüchsige Frau, sechs Klone des Wissenschaftlers, die unter Narkolepsie leiden und in einem Aquarium ein hoch intelligentes Gehirn.
Diese genannten Akteure sorgen für viele absurde Episoden und das zeichnet Jeunet-Caro-Filme aus. Mögen diese auch eine düstere Grundlage haben, so gibt es dennoch viele komische Situationen, sei es nun durch Slapstick, Absurdität oder Wortwitz.

Digitale Filmtricks standen 1995 erst in geringem Umfang zur Verfügung. Doch sind diese in Filmen der beiden auch nicht notwendig, um die Phantasie anzuregen. Es gibt so viel zu sehen, vieles nur für wenige Augenblicke. Es scheint unmöglich, sich satt zu sehen. Die Versechsfachung von Dominique Pinon und eine Gaswolke sind die einzigen offensichtlichen Tricks.
Als Jean-Pierre Jeunet 2001 "Die fabelhafte Welt der Amélie" produzierte, fiel hier auch besonders auf, wie behutsam digitale Tricks eingesetzt wurden. In beiden genannten Filmen und den Vorläufer "Delicatessen" (1991) vom Team Jeunet/Caro sind einige Schauspieler stets dabei, die dabei aber sehr unterschiedliche Rollen spielen. So spielte Pinon zum Beispiel einen Artisten, einen Wissenschaftler und einen krankhaft eifersüchtiger Liebhaber. Und in Diva (1981) war er vorher sogar ein eiskalter Killer.

Alles wendet sich spektakulär zum Guten und der kleine Bruder in einer runden Abblende erinnert noch einmal an "Die Strolche".

... und wenn sie nicht gestorben sind, ...

Der Film ist wirklich empfehlenswert (auch wegen der Musik!) und ich gebe ihn auf einer Skala von 0 bis 10 insgesamt 8 Punkte.

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