Die Spuren des Dauerregen waren hinter Hannover auf den Feldern und Wegrändern zu sehen. Das Wasser staute und junges Getreide ließ Assoziationen von Reisfelder aufkommen. Das Hochwasser hat sich bereits weit aus dem Starkregengebiet im südlichen Niedersachsen bewegt und an der Porta war die Weser über die Ufer getreten und in der Aue zeichneten sich alte Wasserwege ab. Der Kaiser war in den tiefen Wolken verschwunden, aus denen es immer wieder nieselte.
Bis Köln war es ein ICE, der immer wieder die aktuelle Reisegeschwindigkeit anzeigte. Es wurden zwischenzeitlich 200 km/h erreicht und Bahnhöfe wurden mit mehr als 120 km/h passiert. Da ich die Strecke erst vor wenigen Tagen gefahren bin, ließ ich die Landschaft, Landschaft sein und vertiefte mich in meine taz.
Die Bedeutung des Bahnhofs Hannovers wurde mir in Köln bewusst. Dort ist zwar das "Shopping Erlebnis Bahnhof" scheinbar größer (Hannover hat dafür zwei Etagen und so wirkt es nicht so groß), aber der Bahnhof ist deutlich kleiner und in der halbstündigen Wartezeit erlebte ich nie diese Menschenmassen, die in Hannover von Gleis zu Gleis drängen.
Hinter Köln waren in zwei Gruppen die Kühltürme der Kohlekraftwerke neben den Tagebauen zu sehen. Die Wände von Wasserdampf vereinigten sich früh mit den niedrigen Wolken.
In Aachen stiegen zwei grimmige Polizisten der belgischen Polizei ein und gingen langsam durch den Großraumwagen, Reihe für Reihe alle Passagiere taxierend. Ich frage mich, wer schmuggelt was von Deutschland nach Belgien?
Belgien erinnerte zunächst an die Schweiz. Die Fahrt ging von Tunnel zu Tunnel und dies waren zum Teil sehr lange unterirdische Strecken. Doch außerhalb der Tunnel waren weder Berge noch Hügel zu sehen. Es wurden nur Autobahnen und andere Hindernisse auf dieser Schnellstrecke unterquert. Endlich einmal ein Beispiel für vernünftige Planung. Überlandleitung, Bahnanlage und die Autobahn liefen über eine lange Strecke parallel. Dann kam ein nicht enden wollender Tunnel, der direkt am Ortsrand von Lüttich aus einer Hügelkette kam.
Liège-Guillemins / Lüttich. Was für Bahnhof! Das ist Moderne wie aus einem Bildband.
Lese im Zugbegleiter, dass in Brüssel mindestens 45 Minuten für das Check-In in den Zug nach London eingeplant werden muss. Eine Information, die ich gerne beim Kauf meines Tickets bekommen hätte. Kein Stress, jetzt wusste ich wenigstens, warum mir ein Ticket ausgestellt wurde, dass einen Aufenthalt von 80 Minuten in Brüssel verzeichnet. Für mich war das eine Beruhigung, da die Langstreckenzüge insbesondere mit ICE eine Tendenz zu erheblichen Verspätungen haben.
Vor Leuwen ein Farbfleck, auf den kugelförmigen Tank eines Wasserturms war ein riesiger Globus gemalt.
Brüssels Moderne mit ihren Hochhäusern war mir fremd. Im Studium waren wir einmal für ein paar Tage in der europäischen Hauptstadt. Das ist nun auch bereits 25 Jahre her und die Gebäude die ich vom Zug sah, sahen deutlich jünger aus.
Eine Alumna berichtete letztes Jahr von der extremen Segregation in der Stadt. Es gibt demnach verarmte Bezirke zum Beispiel um die Station De Brouckere und allgemein in Molenbeek, die stark von nicht-europäischen Zuwanderern geprägt sind als ein Extrem und den EU-Bubble um den Robert-Schuman-Platz und die östlich davon gelegenen Wohngebiete der mehreren tausend Menschen, die für die EU und die Lobbyorganisationen arbeiten als anderes Extrem.
Vor dem Erreichen von Bruxelles Nord war ein mehrgeschossiges Gebäude mit zerstörten Fensterscheiben zu sehen und bis wir unser Ziel erreichten sah ich sogar ein Haus mit äußeren Brandschäden, das aber offensichtlich bewohnt war.
Der Umsteigebahnhof nach London heißt Bruxelles Midi, von den aber einige Bahnsteige als Bruxelles Zuid beschriftet waren. Im Bahnhof waren schnell die Schilder zum abgesperrten Bereich des Eurostar zu finden. Das Check-In kenne ich sonst nur von Flughäfen. Erst ein Ticketkontrolle, dann die belgische Polizei, welche die Pässe kontrolliert.
YOU ARE LEAVING EUROPE!
An der nächsten Barriere kontrollierte britische Polizei das Ticket und meinen Pass und schließlich gab es noch eine Sicherheitsüberprüfung von Gepäck und Personen inklusive dem Ablegen des Gürtels. Alles endete in einer Lounge wie sie aus Großflughäfen bekannt ist, nur hier ohne Durchgang, da es nur zu zwei Gleisen führt.
Das Check-In dauerte vielleicht 10 Minuten und dann musste ich in der verratzten Lounge mehr als eine halbe Stunde warten. Diverse Sitze waren aus ihren Haltung heraus gebrochen und andere könnten wirklich mal gründlich gereinigt werden.
Kurz vor der Abfahrt wurden zwei Zugänge zum Bahnsteig geöffnet. Der Eurostar ist ein wirklich langer Zug mit 18 Waggons und die Zugänge -sortierten uns Passagiere- nach den den Nummern der Waggons. Ich war im Waggon 1 mit einem Fensterplatz nach Norden.
Abgegriffene, zum Teil ausfransende Sitzbezüge. Deutlich besserer Sitzkomfort als jedes mir bekannte Flugzeug und natürlich große Fenster, doch verglichen selbst mit einem alten IC unter dessen Standort.
Eine Banalität hatte ich zunächst vergessen. Als ich in Brüssel noch einmal auf mein Ticket schaute, wunderte ich mich, dass die Ankunft in St Pankras bereits eine Stunde nach der Abfahrt sein sollte. Da wurde glatt vergessen, dass wir auch die MEZ verlassen und die Ankunft natürlich in GMT angegeben war.
Die Mehrsprachigkeit der Durchsagen gefiel mir. Nederlands, English und Deutsch kenne ich von der niederländischen Teilstrecke des Amsterdam-Berlin-IC, nach dem Passieren der Grenze geht es dann nur noch bilingual weiter. Zwischen Aachen und Lüttich waren die Ansagen viersprachig und die Informationen waren nicht vom Band, sondern eine Stimme gab nacheinander Informationen in Deutsch - Nederlands - Francaise - English.
Ab Brüssel fiel dann das Deutsch weg und die merkwürdige Aussprache verwies auch eher auf Flams als auf Nederlands. Bekannte niederländische Worte in dieser fremder Aussprache erschwerten das Verständnis.
Bis London gibt es nur einen Stopp in einer Tunnelstation in Lille. Vorher waren mehrere 6-8-geschossige Wohnhäuser, die wie Schmeißfliegen schimmerten, zu sehen. Dies erinnerte mich an Gebäude im Industrieviertel von Deventer.
Um 16:02 MEZ fuhren wir in den Tunnel ein. Da es vorher schnurgerade ging, war die Einfahrt nur durch die Verlangsamung des Zuges, dem Passieren eines Bahnhofs "Calais -..." und einem kryptischen Hinweisschild, dass mit abnehmender Meterangabe etwas ankündigte, zu erwarten.
Im Tunnel gab es zunächst schwankende Geschwindigkeiten, doch dann war scheinbar das Optimum erreicht und uns begleitete nur noch ein monotones Geräusch. Im Tunnel waren mehrmals über lange Strecken schwach beleuchtete Wege in Höhe des Fenster zu sehen. Eine Stange trennte diese Wege von den Gleiskörper. Sind das die Fluchtwege bzw. Schutzbereiche?
Nach zwanzig Minuten Dunkelheit verlangsamte der Zug merklich. Wie erwartet war dies das Tunnelende und um 15:23 GMT waren wir in England.Das dunkle Loch wurde verlassen, doch die Reise entbehrt nicht einer gewissen Irrationalität. (...) [Vollständiger Tagebucheintrag nur auf Nachfrage]
Der Süden Englands leuchtete immer wieder leuchtend gelb. Der Raps blühte, wenn auch zum Feldrand hin die Zahl der Blüten abnahm. Der Zug war nun auf Höchstgeschwindigkeit. Wir passierten abnehmende Kilometerzeichen und ich stoppte die Zeit. Ein Kilometer in etwas weniger als 15 Sekunden, also mehr als 240 km/h.
Es ging wieder durch viele Tunnel und nach den letzten Tunnel waren bereits die Hochhäuser östlich der Innenstadt und der Bahnhof zu sehen. LONDON.
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