Die Flucht
Fernsehfilm von Kai Wessel in zwei Teilen
ARTE (link zum Film) Freitag, 2. März 2007 20:40-23:40 Uhr (Erstaufführung)
ARD Sonntag, 4. März 2007 20:15-21:45 Uhr und Montag, 5. März 2007 20:15-21:45 Uhr
Wiederholung: ARTE Samstag, 10. März 15:50-17:20 Uhr und Sonntag, 11. März 15:50-17:20 Uhr.
Drei Stunden Historiendrama der Spitzenklasse.
Maria Furtwängler überzeugt in ihrer Rolle als Lena Gräfin von Mahlenberg, die das Junkergut ihres Vaters in Ostpreußen mit allen Personen räumen läßt und sich auf die Flucht nach Westen begibt.
2001 und 2002 habe ich mich aus beruflichen Gründen zum einen mit der aktuellen wissenschaftlichen Literatur zum Thema Flucht und Vertreibung auseinandergesetzt und zum anderen mehrere Gespräche mit älteren Frauen geführt, die dieses Trauma erlitten. Diese Zeitzeugen waren vor allen Opfer und haben Gräueltaten der deutschen Täter nur während der Flucht erkannt und erlebt.
Der Film bemüht sich bei aller Dramatik seiner personalisierten Geschichte darum, dass Opfer und Täter immer wieder gezeigt werden. Dies umfasst die Massenerschießungen von Zivilisten in den besetzten Ländern durch die Wehrmacht, die Horden der russischen Soldateska, die jede greifbare Frau reihenweise vergewaltigen und dabei oftmals ermorden, die Verfolgung und Ermordung von Kriegsgefangenen, die Hinrichtung der ersten deutschen Flüchtlinge aus Ostpreußen durch die Nazischergen und das massenhafte Sterben auf der Flucht durch Mangel, Eiseskälte, Krankheiten, Unfälle und dem Beschuß russischer Truppen. Dies ist aber nicht das Ende des Mordens, denn noch kurz vor Kriegsende wurden Soldaten, die ohne ihre Einheit angetroffen wurden, als Deserteure von militärischen Schnellgerichten zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Die Idylle der Heimat Ostpreußen wurde in großen Bildern im ersten Teil eingefangen, doch stets wurde gleichzeitig der Wahn des Systems, der vor allem jüngere und ehrgeizige Menschen zutiefst überzeugt hatte, gegen geschnitten. Junge Nazis, die ihnen nahestehende Personen bei der Partei verraten und sehenden Auges den Tod dieser ihrer Meinung nach „Verräter“ befürworten.
Selbst die Kapitulation und Besetzung Deutschlands durch alliierte Truppen hat bei diesen überzeugten Nazis kein Gesinnungswandel bewirkt, was sich dann auch in den folgenden 20 Jahren immer wieder in der Innenpolitik und im Zusammenleben der jungen Bundesrepublik Deutschland zeigte. Gerade die so genannten Schreibtischtäter waren sich keiner Schuld bewusst und die Wehrmachtsangehörigen haben ja immer nur Befehle ausgeführt... Feigheit und Unmenschlichkeit ließ sich hinter vielen Geschichten verstecken.
Der Film ist gut recherchiert und es war ein beruhigendes Zeichen, dass im Abspann u.a. Prof. em. Manfred Messerschmidt, der ehemaligen Leiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamts Freiburg, als wissenschaftlicher Berater aufgeführt wurde. Sein Name ist fest mit der Beseitigung vieler Mythen über die Wehrmacht und Militärjustiz verbunden.
Der Film hat nur eine Schwäche, die aber vermutlich jeder aktuelle Film mit Bezug zur Geschichte hat. Die Zuneigung zwischen der deutschen Gräfin und dem französischen Kriegsgefangenen (gespielt von Jean-Yves Berteloot) wird immer wieder in den Vordergrund geschoben.
Beeindruckend sind in diesen Momenten die Großaufnahmen der Gesichter. Wann sind zuletzt Menschen ohne Schminke zu sehen gewesen. Schmutz, Falten, Tränen und durch Anstrengung und Kälte gerötete Gesichter schauen einen an. Der Grimme-Preisträger Kai Wessel hat die musikalische Untermalung an Norbert Jürgen Schneider vergeben, der mit ganz wenigen Ausnahmen den richtigen Ton trifft und damit verhindert, dass emotionale Szenen in rührige Sentimentalität abgleiten.
Ich empfehle den Film Die Flucht als eine Einführung in das Thema Flucht und Vertreibung. Hoffentlich wird dieser Film schon bald Schulen für den Unterricht zur Verfügung gestellt. Hier kann ein Teilaspekt der weltweiten Migration vorgestellt werden.
Ein Gespräch mit der Hauptdarstellerin Maria Furtwängler sowie ein kurzes Interview mit der Buchautorin Tatjana Gräfin Dönhoff findet sich hier auf den Seiten von ARTE.
Ein Gespräch mit dem Historiker Heinrich Schwendemann (Universität Freiburg) über militärgeschichtliche Mythen der Flucht und Vertreibung findet sich hier.
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