(Ein Reisebericht aus dem Frühjahr 2007. Eine sehr interessante alternative Tour durch Prag im Jahre 2015 wird
hier beschrieben.)
Der Tag wurde diesmal später angegangen. Die Helligkeit im Zimmer (es gibt keine Vorhänge oder Jalousie) wird immer von der bei einer Ghana-Reise verteilten Schlafmaske verdeckt. Den Tagesablauf muss ich aus meiner Erinnerung aufschreiben, da meine Notizen zu Prag mit dem vorherigen Tag endeten.
Nach der
Pražsky hrad sollte es nun zur
Vyšehrad gehen. Der Prager Burgberg ist zwar mächtig, wurde aber erst im 14. Jahrhundert zum Zentrum der Macht. Vorher lag dieses Zentrum im heutigen Stadtteil Vyšehrad, wo auf einem Felsen über der Moldau seit dem 10. Jahrhundert das politische und religiöse Zentrum befand. Die Legenden, die jede Frühgeschichte einer Nation umgeben, sehen hier den Ursprung einer eigenen tschechischen Herrschaft.
Wir fuhren mit Bus und U-Bahn bis zur gleichnamigen Haltestelle. Hier gab es auch Touristen, die hatten aber oftmals einen Rucksack auf. Diese drei Kilometer Abstand zur Innenstadt hielt die Masse bereits ab.
Doch bevor wir die Geschichte erkundeten, erbat ich mir erst einmal meine morgendliche Dosis an Koffein. Wir saßen direkt auf einer Terrasse an der Station und die Bedienung war diesen Namen nicht wert. (Foto: Z. P.)
Die U-Bahn-Station hat den Charme der 80-er und 90-er Jahre. Hier hätte man damals Science Fiction drehen können. Es ist ein Fest von Beton in allen Formen.
Durch eine Gasse erreichten wir das Burggelände. Über die Jahrhunderte sind ein Großteil der Befestigungsanlagen verschwunden und nun werden Teile davon wieder rekonstruiert. In dieser Parklandschaft hörte ich einmal kein Englisch und nur unser Deutsch. Es scheint dies ein Ort für Spaziergänge der Einheimischen zu sein.
Auf einer Freifläche stehen riesige Figuren, die Helden der Nationalgeschichte präsentieren. Diese Darstellung des späten 19. Jahrhunderts entbehrt heute nicht einer gewissen Komik. Diese Nationalhelden sind wilde Menschen, auch die Frau hat mit einem Streithammer eine tödliche Waffe.
Wir stellten uns an die Zinnen, klönten über Vieles, blickten auf die Stadt und die neuere Burg.
(Blick vom Vyšehrad zum Pražsky hrad)
In den Ruinen gibt es zwei Komplexe zu entdecken.
Da wäre zum einen die Peter und Paul-Basilika. Auf der Frontseite fanden sich verschiedene Verzierungen, die sich immer wiederholten. Auf der Tür fand ich den Schlüssel des Peters und ein Symbol, dass eine Ähnlichkeit mit dem Dollarzeichen hat.
Wir hielten uns relativ lange in der Kirche auf. Das Gebäude wurde immer wieder renoviert und weist somit im inneren Elemente vieler Perioden der Kunstgeschichte auf.
Eigentlich bin ich kein Freund prächtiger, katholischer Kirchen. Ich liebe die schlichten protestantischen Sakralbauten. Doch dies war eher ein Museum. Die Säulen sind einheitlich im Jugendstil gehalten. Auf jeder Säule sind mehrere Heilige dargestellt. Im Vergleich der mir oftmals unbekannten Personen, fallen einen die Gemeinsamkeiten auf und von diesen Gemeinsamkeiten aus, sieht man dann die teilweise feinen Unterschiede in den einzelnen Personen zugeordneten Symbolen.
Mir ging eine absurde Frage durch den Kopf, den weder meine Gastgeberin Z.P. noch später am Abend ihr Freund, der Kunstgeschichte studiert, beantworten konnte. Im Vergleich mit Heiligendarstellungen der Frühen Neuzeit fiel mir auf, dass sich der Ansatz des Heiligenscheins verändert hatte. Während die alten Darstellungen oftmals einen deutlich schwebenden Heiligenschein zeigten oder eine Aura um das Angesicht strahlte, zeigten die neuen Darstellungen einen Ansatzpunkt der den Lebensnerv im Genick entsprach. Mit einem Ansatzpunkt meine ich, dass der tiefste Punkt des Heiligenscheins sich stets mit der Stelle im Nacken kreuzte, wo das Genick ist und der plötzliche Tod möglich ist. War dies Zufall oder Absicht?
(Nachtrag 2015: Ich bin kein Freund von Selfie, aber meine
Gastgeberin meinte, dass ich bei verschiedenen Motiven zu sehen sein
sollte, also damit beweise, dass ich da war)
(Foto: Z.P.)
Bereits vor der Kirche hatte ich den alten Friedhof dahinter gesehen. Z. sagte, dass wir unbedingt über das Gräberfeld gehen sollten. Wie sagte sie später auf dem Friedhof, dass sei so etwas wie die Hall of Fame.
Ich sah die Gräber von Jan Neruda, Antonín Dvořák und Bedřich Smetana. Jan Neruda ist einer der Nationaldichter. Meine Frage, ob es eine Verbindung zum chilenischen Literatur-Nobelpreisträger Pablo Neruda gibt, fand keine Antwort.
Wikipedia klärte mich auf, dass Pablo Neruda sein Pseudonym aus einer Verehrung für Jan Neruda annahm.
Von Vyšehrad ging es an das andere Ende der Stadt. Diesmal nicht nur an den Rand von Troja, sondern in sein Zentrum zum Schloss der Adelsfamilie Sternberg. Hier wurde eine barocke Pracht entfaltet.
(Foto: Z.P.)
Wir waren kontinuierlich am Klönen. Ich habe die Notiz gefunden, dass wir uns zum einen über Moral und Werte unterhalten haben und meine Gastgeberin erzählte vom Biedermeier in Wien. Sie hatte sich während der Schulzeit mit diesem Thema intensiv beschäftigt. Als wir wieder im Studentenwohnheim angekommen waren, trafen wir dort ihren Freund, mit dem ich Smalltalk auf Englisch führte.
Nach einer Erfrischung im Wohnheim gingen wir unter Zeitdruck zur Bushaltestelle. Der Bus war gerade weg und so gingen wir weiter zur Straßenbahnhaltestelle, die uns zumindest bereits in die Innenstadt brachte. Mit einmal umsteigen erreichten wir unser Ziel. Auf einer Treppe zu einem öffentlichen Gebäude waren die wilden Haare einer jungen Frau zu sehen. Wir kamen von hinten, aber das war eindeutig P.
Eine nette Begrüßung und dann ging es auf mich verwirrenden Wegen zum Café Indigo, wo wir im Hinterhof einen frisch Tisch fanden.
P. hatte gerade die Aufnahmeprüfung für ein Studium der Politologie bestanden. Zusammen mit einem Sprachstudium wollte sie hier die Grundlagen für eine Beschäftigung im diplomatischen Dienst erwerben. Ein großes Ziel, aber bei den Teilnehmenden des Europa-Kollegs habe ich schon mehrmals so etwas gehört und halte diese Sterne für diese Menschen für erreichbar.
Nach dem Essen und Klönen und der Verabschiedung von P. ging es noch einmal quer durch Prag, doch diesmal in eine andere Richtung. Im Verlauf des Tages hatte ich Z. gefragt, was für Gastgeschenke denn ein Besucher mitbringt, wenn er Unterkunft bei einer Familie findet. Ich war nicht wirklich erstaunt, als ich hörte, eine Flasche Wodka für den Vater und etwas Süßes für die Mutter. Es war Pfingstsonntag und die moderne Warenwelt hat als Teil der Globalisierung Einzug in Prag gehalten. Hier gibt es keine verbindlichen Ladenöffnungszeiten und die europäischen Giganten werben mit ihrer Erreichbarkeit. Die größte Supermarktkette aus Großbritannien betreibt am Stadtrand von Prag einen Hypermarché. TESCO sei Dank, dass ich nicht mit leeren Händen nach Poprad fahre.
Ich hatte schon Probleme (mit mir), dass ich nichts Außergewöhnliches in Hannover gefunden hatte und meiner Gastgeberin nur eine Packung „Hannover“ von der hannöverschen Keksfabrik Bahlsen mitgebracht hatte.
Für mein nächstes Ziel Poprad wurde eine Flasche Finlandia und eine große Schachtel Figaro Tati, eine Schokoladenkekssorte gekauft. Vor dem TESCO campierten an einer Parkbank einige Punks. Richtige Punks, die überzeugend deutlich ausdrückten, dass es ihnen egal ist, was der nächste Tag ihnen bringt. Natürlich bettelten sie uns auf dem Rückweg zur U-Bahnstation an.
Erst vor dem Wohnheimzimmer nannte Z. ein theoretisches Problem, das ein solches blieb. Sie hatte ihrem Freund den Zimmerschlüssel gegeben, doch er schien relativ schnell aufzuwachen und so standen wir nach einmaligen Klopfen und kurzem Warten im Zimmer. Da ich am nächsten Morgen den Zug um 10:00 Uhr erreichen wollte, wurden nur noch wenige Worte gewechselt, Handys als Wecker gestellt und dann war Schlafenszeit.