Früh, später stellte ich sogar fest, viel zu früh aufgestanden. Kaffee war leider nicht vorhanden und so nahm ich dankend einen Becher Tee zu meinem Müsli. Ich war durch die Aktivität der Mitbewohnerin und der Helligkeit wach geworden.
Ich stand wieder am offenen Fenster und schaute auf die fremde Stadt. Selbst hier im 14. Stockwerk sind alle Fenster zu öffnen und unten umgibt das Hochhaus eine Betonfläche. Es mag dies ein ungewöhnliches Thema für den frühen Morgen sein, aber mir fielen sogleich die Sicherheitsüberlegungen in Deutschland ein. Da ich indirekt einen Mann kannte, der so ein Hochhaus für seinen Selbstmord nutzte, ist es vielleicht auch nicht ganz so abwegig, über so etwas Erkundigungen einzuholen. Ja, das ist hier auch schon passiert, war die kurze Antwort.
Es war noch vor 9 Uhr. Nach dem Frühstück schrieb ich schnell die erste Version meines Reiseberichts bis Dresden.
Danach ging es in die Stadt. Als ersten Akt wurde am Hauptbahnhof (Praha Hlavní nádraží) ein Fahrschein für die Weiterfahrt nach Poprad. 28 Euro für eine lange Fahrt. Die Empfehlungen von Zuzana, Darina und Maja waren sinnvoll. Sie hatten individuell empfohlen, Fahrkarten erst auf der Reise zu kaufen, da die nationalen Preise erheblich günstiger wären, als Fahrscheine in Deutschland zu kaufen.
Dann sollte unsere touristische Tour durch Prag beginnen. Doch ich erbat mir erst einmal ein Kaffee. Sie führte mich zum Kafka-Café, wo ein Café Late die größte Annäherung an den von mir bevorzugten Milchkaffee bot. Zwei Kaffee später war mein Koffein-Haushalt wieder normal und ich war ein freundlicher Mensch.
Als wir uns nun auf die Tour begaben sah ich ein niedriges Gebäude mit Holzelementen zwischen zwei anderen Gebäuden. Das war die Bahnstation Masarykovo. Wir gingen dorthin und in der Eingangshalle gab es eine Büste des Staatsgründers Masaryk. (Einmal mehr der Hinweis, dass die Bilder in der Regel deutlich größer sind. einfach auf ein Foto im Blog klicken und dann entfaltet es sich zu seiner tatsächlichen Größe!)
Auf unseren Weg zur Silver Line - oder wie hatte Zuzana die Ideallinie für den Fremdneverkehr genannt (?) - kamen wir an einem Supermarkt vorbei und mich überkam ein großes Bedürfnis. Sie suchte Batterien für die geliehene Digitalkamera und ich suchte eine Schale Erdbeeren.
Die wollten doch tatsächlich umgerechnet €2 Euro für eine 1-Pfund-Schale, aber es ist Urlaub und ich hatte in diesem Jahr noch keine Erdbeeren satt. Leider entpuppte sich dies als ein Fehlkauf. Es war fränkische Ware und eine ganze Handvoll war total verschimmelt, was aber beim Kauf nicht zu sehen war. Alle anderen hatten zum Teil erhebliche Druckschäden. Mehr als ein Drittel wurden als Abfall aussortiert und die verbliebenden Erdbeeren waren offensichtlich zu früh gepflückt. Nur wenig Fruchtsüße entfalltete sich beim Zerdrücken am Gaumen.
Es ging zunächst zum beeindruckenden Pulverturm/Staubtor (?) vorbei an prächtigen, herrschaftlichen Gebäuden (Rathaus), die alle touristische Ziele sind. Hier war es wie an vielen Orten des Massentourismus. Junge Menschen, die Werbezettel für Restaurants und Touren verteilten und dabei stets auf ihre potentielle Kunden zugingen. Bloß nicht interessiert erscheinen, sonst wurde man multilingual bequatscht.
Zuzana zeigte mir ein Haus, dass von einen kubistischen Architekten gebaut wurde.
Wir bewegten uns nun stetig in einer nicht enden wollenden Menge von Touristen. Ein Straßenkünstler hatte ein Bild mehrfach an eine Hauswand geklebt und dies symbolisierte für mich sehr eindringlich den Massentourismus.
Alle sehen gleich aus, haben nur ein sehr beschränktes Sichtfeld und werden von außen versorgt.
Wir gelangten in der Menschenmenge zum zentralen Marktplatz. Es war ein sonniger Tag und ich machte wie Millionen vorher auch mein Postkartenfoto von der Teynkirche mit ihren Türmen und Türmchen.
Auf dem Markplatz standen Tausende von Menschen. Viele von ihnen gehörten Reisegruppen an, die sich um einen deutlich zu erkennenden Reiseleiter scharrten.
Wir gingen in die Josefstadt (Josefov), in der früher das jüdische Ghetto lag. Im Rahmen der Stadterneuerung vor 100 Jahren wurde das alte Viertel fast vollständig abgerissen und hier finden sich heute nur noch die Synagogen, der alte Friedhof und das jüdische Rathaus.
An den Straßen stehen prächtige Bürgerhäuser der jüdischen Bourgeoisie.
Imposant fand ich ein Haus am Ende einer dieser Prachtstraßen. Der Eingang wurde von zwei Schönheiten bewacht, die noch nicht vom unnatürlichen Schönheitsideal der USA geprägt waren. Hungerhaken sind ja so etwas von hässlich!
Zwischen den Etagen waren prächtige Bilder.
Zumindest die beiden zwischen Hochparterre und 1. Etage konnte ich ohne große Verzerrung aufnehmen.
Die jüdische Zeit war hier stehen geblieben. Symbolisch wurde dies an der Uhr des jüdischen Rathauses gezeigt. Hier steht auch das Gebäude in dem der mythische Golem geschaffen wurde. Der Journalist Egon Erwin Kisch suchte in dem Gebäude auf dem Dachboden des Gebäudes nach den Überresten des Golems, fand aber nur Staub. Womit der Mythos nicht widerlegt wurde, da der Golem wieder zu Staub verfallen sein soll.
Die Stadt ist eine Augenweide und erinnerte mich stets an die Barbarei der Naziherrschaft in Deutschland. Die Alliierten meinten durch das systematische Zerstören der Innenstädte die fanatische Unterstützung der Bevölkerung für die gewählte Mörderbande, die sich Elite nannte und das Land regierte und kontrollierte, zu brechen. Städte mit gewachsener, historischer Bausubstanz, die über einige Straßenzüge hinausgeht, sind seit den Luftangriffen selten.
In Prag nicht; Straße um Straße zeigte Einblicke in die Geschichte der Architektur mehrerer Jahrhunderte.
Und ich lernte etwas über das Deklinieren von Substantiven im Tschechischen und Slowakischen. Der Platz des Franz Kafka wurde so zum Platz des Franze kafky.
Es war wieder ein sehr warmer Tag. Die offizielle Messstation am Flughafen Praha Ruzyne hatte am Vortag knapp über 30° Celsius gemessen und damit den ersten Tropentag in Prag im Jahre 2007 bestätigt. Am 26. Mai waren es am Flughafen noch einmal 29,5°, aber hier in der Altstadt bestimmt 3-5 Grad mehr. Am Morgen hatten sich noch Gewitter am Horizont angekündigt und es war auch viel Grollen zu hören. Keine Spur war hiervon verblieben.
Als wir schließlich an der Moldau standen und auf den Hradčany (Burgberg) auf dem anderen Ufer blickten, schlug ich eine Rast vor. Zuzana hatte wegen der Temperaturen aber keinen Appetit und jeder seine Wasserflasche.
Hier entwickelte ich den running gag, doch ein Erdbeereis zu essen.
Wir kamen am Institut, in dem Zuzana studiert vorbei und bei einem ihrer Arbeitgeber. Zuzana sagte, dass wir unbedingt zur Prager Burg müssten. Meine Bilder von Prag wären unvollständig ohne eine Besteigung des Burgberges. Der Weg führte zurück in die Menschenmassen. Mit dem ehemaligen jüdischen Viertel hatten wir die Masse hinter uns gelassen. Es gingen zwar auch immer wieder große Gruppe mit Reiseleitung an uns vorbei oder kamen und entgegen, aber der Menschenstrom kam in Wellen.
Es ging auf die überfüllte Karlsbrücke. Hier machte ich ein drei Bilder nach Süden den Fluß hinauf, die ich hier zu einem Bild zusammengefügt habe.
Zuzana hat ein großes Detailwissen über die Stadt und ihre Geschichte. Dies waren nicht nur die harten Fakten, sondern tatsächliche Geschichte mit Bezügen Mythen und dem religiösen Weltbild. Sie war eine angenehme Reiseführerin. Später verstand ich auch besser, warum Sie so viel von Kunstgeschichte verstand. Es war nicht nur das Pauken in Poprad, sondern ihr Freund studiert Kunstgeschichte und davon scheint viel bei ihr angekommen zu sein.
Zuzana ist eine fröhliche Frau, auch wenn Sie oftmals auf Fotos sehr ernsthaft schaut. Sie bringt Spitzenleistungen in ihrem Fach (Germanistik) und nebenbei interessante, bezahlte Tätigkeiten während ihres Studiums und beim Heimaturlaub in Velké Kapušany in der Ebene im äußersten Südosten der Slowakei. Ihre jüngere Schwester geht auch zu einem bilingualen Gymnasium, hat sich aber statt für Poprad, für eine englisch-slowakische Schule mit Internat entschieden.
Der Aufstieg zur Burg war anstrengend und ich konnte oftmals quengelnd fragen, ob sie ein Eis möchte. Ich bin mir nicht sicher, ob sie diesen Scherz verstanden hat. Unser kindliches „Sind wir bald da?“ oder „Darf ich ein Eis?“ sollte es aber auch im Slowakischen geben. Meine Referenz an diese Kindersprüche sind halt ein Teil meines seltsamen Humors. Einmal sagte sie, dass die Preise für Eis auf dieser Strecke unvorstellbar hoch seien. Kurz vor dem Burggelände sah ich einen Händler, der Eis in Kugeln verkauft. Der wollte doch tatsächlich mehr als ein Euro je Kugel. Ich musste lachen, aber es gibt bestimmt viele Eltern, die hier kurz vor der Burg ihre Kinder beruhigen wollen, damit die Burganlage genossen werden kann.
Vorm ersten Burghof standen Gardesoldaten. Wir gingen an ihnen vorbei und setzten uns endlich im zweiten Burghof auf den Mauerwerk eines Springbrunnens. Es waren bestimmt nicht viele Kilometer bisher gewesen, aber ich war erschöpft, wie von zehn. Ich muss enttäuschend für Zuzana gewesen sein, da meine Erschöpfung offensichtlich war und mein Blick an der Schönheit der Gebäude abglitt.
Erst im dritten Burghof am Veitsdom kam mein Interesse wieder auf. Die umfangreichen Eisenzäune waren verziert und überall fanden sich Kleinode. (FOTO. Romantik ohne Kitsch).
Hier wurde übrigens auch das Bild vom betenden Autor dieser Zeilen von Zuzana aufgenommen. Siehe ihren Bildbericht vom 2. Juni
Als wir schließlich auf der Dělostrělecká bašta standen machte ich zwei Fotos von der Stadt, die ich hier zu einem Bild verschmolzen habe.
Von unten war Trommeln zu hören. Ich identifizierte eindeutig afrikanische Trommeln, inklusive einer Djembe. Sie fragte mich nach diesem Fachwissen und ich erzählte von meinen fünf Jahren, die ich an Tanzkursen teilgenommen und dabei einige Tänze aus verschiedenen Kulturen Afrikas sehr gut kennen gelernt habe. Manchmal vermisse ich diese wöchentliche Extase (Freude bis zur Erschöpfung!). Es war auch Gesang zu hören. Von der Struktur des Liedes und den wenigen Elementen, die klar zu hören waren, vermutete ich ein Lied aus Südafrika. Es war nicht dieser Kantor – Chor – Wechselgesang vieler westafrikanischer Lieder.
Wir gingen wieder runter in die Stadt. Mir fiel mal wieder ein Franz-Kafka-Café auf. Wenn sie auch noch einen speziellen massentauglichen Kaffee haben, dann könnte dies zu einen Franchise werden wie Starbucks. Komm wir gehen ins Franz-Kafka!
Die Sonne zeichnete nun die vielen Farben der Häuserwände. Das Alter der Gemäuer hatte starken Einfluss auf die Farbintensität. Das Foto deutet dies nur an. Es sind nur zwei Grundfarben, aber es lassen sich Dutzende von Schattierungen unterscheiden. Es sind damit schon fast natürliche Farben, wie die hundert Schattierungen von Grün auf einen Baum oder einen Busch.
Ich glaube, dass wir nach dieser langen Tour erst einmal ins Studentenwohnheim gefahren sind, um sich unter der Dusche zu erfrischen. Abends ging es ins Restaurant und ich durfte Zuzana zu ihren Lieblingschinesen einladen (leider keine wirklich besondere Küche). Aber hier schmeckte mir ein Krusovice.
Diesmal wurde nicht noch einmal für Stunden geklönt. Dafür braucht man wirklich ein Wohnzimmer, wo man sich bequem hinfläzen kann. Bei Bier, Saft oder Wein und angenehmer Musik kann leichter geplaudert und assoziiert werden.
Nach den Erfahrungen der ersten Nacht, suchte ich meine Schlafmaske heraus und es war vereinbart, dass es nicht so früh raus geht.
2 Kommentare:
aaaaaaaaaaach schoene Erinnerungen, habe den ganzen Vormittag auf deinem Blog verbracht:)
Und ich den ganzen Sonntag!
Blog ist für mich Tagebuch auch mit den Fakten, nicht nur Erlebnissen und Gefühlen. Habe schon mehrmals im Blog nachgeschaut, wenn ich mir nicht mehr sicher wahr, ob ich ein Ereignis oder ein Gespräch richtig erinnere.
Im handschriftlichen Tagebuch stehen nur noch Gefühle, die ich der Welt nicht mitteilen möchte.
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