Mittwoch, 8. Oktober 2014

Buch: Stanley Ellin 1961 Sanfter Schrecken

Stanley Ellin, Mystery Stories,
New York: Simon and Schuster, 1956
(Deutsch von Arno Schmidt
"Sanfter Schrecken.10 ruchlose Geschichten",
Stuttgart: Goverts, 1961)

Links Titelbild der Ausgabe Deutsche Buch-Gemeinschaft, 1963, rechts Titelbild der Haffmans-Ausgabe 1992


Es war eine Bemerkung in einem Brief von Arno Schmidt an seinen Freund (!) Wilhelm Michels über die Erzählungen, die mich zu diesem Buch führte:
"einige haben (...) Ähnlichkeit mit POE"
(Arno Schmidt der Briefwechsel mit Wilhelm Michels, Bargfelder Ausgabe Briefe II, S.193)
Der Band versammelt Erzählungen, die seit 1948 erschienen sind. Es sind alles Kriminalgeschichten, immer geht es um Todesfälle, aber stets bergen die Geschichten eine wirkliche Überraschung. Die feine Komposition der Mehrzahl der Geschichten zeigt die Meisterschaft des Autors. Es ist nichts Serielles und auch die Überraschungen bleiben ungewöhnlich. Im Vorwort seiner Herausgeber wird die Entstehung einer Erzählung geschildert. Stanley Ellin brauchte zum Teil Dutzende Anläufe bis der erste Absatz einer Geschichte ihn befriedigte und nun die Erzählung beginnen konnte.

Die deutsche Fassung ist eine von den "Brotarbeiten" des Schriftstellers Arno Schmidt. Schmidt'sche Idiosynkrasien finden sich immer wieder, wenn er zum Beispiel im ersten Satz gleich zwei seiner typischen Wortkonstruktionen "linoleumbefußbodeten, messingbebettstellten" (Hochleistungswerkzeuge GmbH, S. 37) einfügt.

Es sind Geschichten aus einer Zeit der USA, wo das alte, streng hierarchisch nach dem Reichtum der Eltern gegliederte System auf die moderne Gesellschaft mit ihrer Technik, Anonymität und extremen Arbeitsteilung trifft. Fünf Geschichten erzählen von Angestellten, die selbst verheiratet, alleine sind.
Die Poe-Qualität rührt von der Konstruktion der ungewöhnlichen Todesfälle, von denen gleich vier Versuche im "perfekten Verbrechen" sind.

Stanley Ellin sollte neu entdeckt werden. Dieser Sammelband, der 1992 neu bei Haffmans aufgelegt wurde, ist eher in der Bibliothek oder einem Antiquariat zu finden, als im Buchhandel.

x x x x x x x x x x
SPOILER-ALARM - Warnung! Die Handlung der Erzählungen wird bekannt!
x x x x x x x x x x
Fettdruck verweist auf den Titel der Erzählung

  • Die Spezialität des Hauses führt einen Angestellten mit seinem Vorgesetzten in ein Restaurant, in dem alleinstehende Männer zu Abend essen. Es gibt jeden Abend nur eine Speise, die aber von den Stammgästen stets geschätzt wird. Der Wirt und Koch lässt niemanden in die Küche und so ist jeder Abend eine Überraschung. Die Stammgäste freuen sich vor allem auf die Spezialität des Hauses, die nur alle paar Monate einmal serviert wird.
  • Hochleistungswerkzeuge GmbH erzählt von einen pedantischen Angestellten, der nach seiner Arbeitslosigkeit eine Stelle als Wirtschaftsanalyst antritt, ohne seinen Auftraggeber zu kennen. Ihn erreichen Aufträge und Materialien, die er bearbeitet und wofür er wöchentlich einen Umschlag mit Bargeld erhält. Diese monotone Tätigkeit stellt sich als Probe für eine größere Aufgabe heraus.
  • Im Tod am Weihnachtsabend wird ein Witwer besucht, der in seiner Trauer über den Tod seiner Frau sich in seinem Haus versteckt. Es sollte wie ein Unfall aussehen, aber sowohl der Witwer als auch der Freund sind da anderer Ansicht.
  • In der geordneten Welt des Mr. Appleby tut sich diesem eine Möglichkeit auf, wie er seinen Antiquitätenladen mit dem Erbe seiner Frau erhalten kann.
  • Das Huneker-Gambit behandelt das Leben eines gelangweilten Angestellten, der Schach für sich entdeckt. Seine Frau hemmt jede gesellschaftliche Aktivität und nimmt ihn jede Freude. Er wird zum Schachfanatiker und lernt, da er kein Spielpartner hat, gegen sich selber Schach zu spielen und rutscht in die Schizophrenie.
  • Von allem das Beste ist was sich ein Angestellter wünscht, aber was weder sein Gehalt noch seine soziale Stellung ihn ermöglicht. Ein reicher Schnösel ermöglicht ihn sich in dessen Kopie zu verwandeln, also die gleiche Kleidung, Sprache und Gestik sich anzueignen. Damit steht ihn eine neue Welt offen und auch die Chance in die Familie seines Arbeitgebers aus der Oberschicht einzuheiraten. (Hier musste ich an Tell-Tale Heart von Poe denken)
  • Ein einsamer Angestellter, der in einer schlechten Mietskasene mit dünnen Wänden lebt wird zum Verräter. Er hört die Konflikte eines Ehepaares, bekommt Mitleid mit der Frau und verliebt sich in diese. Es kommt zu einem Todesfall und der Versicherungsangestellte wird zum Detektiv, der dafür sorgt, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird.
  • Die Gesellschaft in der Villa ist für den verheirateten Gastgeber eine einzige Qual. Nicht nur das sein Leben als populärer Theater-Schauspieler eine einzige Wiederholung von Szenen und Wörtern ist, sondern auch in seinem Privatleben gibt es nicht endende Wiederholungen. Seine geliebte will ihn davon befreien und seine Frau will dies verhindern.
  • Ein Börsenmakler nimmt jeden Tag den Spezialzug Börsenpfeil für die Fahrt zwischen ländlicher Idylle und großstädtischem Büro. Eine ungeplante frühe Heimkehr zeigt ihn seine Frau mit ihrem Geliebten auf den Weg zum Bahnhof. Sein Plan für einen perfekten Mord soll den Geliebten töten.
  • Der Augenblick der Entscheidung ist das Ende eines Kampfes zwischen einen arroganten, selbstsicheren Mitglied der Oberschicht und einem Menschen, der als Illusionist gelernt hat, Menschen zu durchschauen und diese dann zu manipulieren. (Hier sind verschiedene Erzählungen von Poe als Vorbild zu erahnen).

Nicht alle Geschichten werden zu Ende erzählt. Nach der Überraschung ist klar, wie die Geschichte wahrscheinlich weiter geht. Die Spannung bleibt damit über den letzten Punkt erhalten.


Kurzrezension im SPIEGEL 12/1962
Biographie von Stanley Ellin in der Wikipedia (ich empfehle die ausführlichere Version in der englischen Ausgabe)

Keine Kommentare: