Montag, 12. Februar 2007

Ton Steine Scherben Family in Hannover

Letzten Mittwoch endete im Capitol die zweite Tournee der Ton Steine Scherben Family.
Es war ein früher Beginn angekündigt und vor dem Konzert legte ein DJ Rockmusik von den späten 60-er bis zu den frühen 80-er Jahren auf. Offensichtlich wurde darauf Rücksicht genommen, dass es ein Werktag war und das Publikum schon vor langer Zeit die zeitlichen Freiheiten der Bildungseinrichtungen verlassen hatte. Wider Erwarten erschien bereits kurz nach 20 Uhr ein Ansager auf die Bühne der einleitende Worte sprach.
Für uns Fans der Musik von Ton Steine Scherben und Rio Reiser gibt es zur Zeit ein großes Ärgernis durch die aktuelle Kampagne des Mediamarktes. Statt eines gesprochenen Statements wurde ein Zeichentrickfilm gezeigt, der im Stil der Sendung mit der Maus das Problem vorstellte.

Doch wer ist nun der Bösewicht in diesem Skandal? Sind es die Gebrüder Möbius, weil sie diesen Missbrauch des Liedes "König von Deutschland" erlaubten oder ist es die Sony als Rechteinhaberin der von Rio Reiser eingespielten Lieder, die nur auf die Lizenzeinnahme starren.

Oder ist es kein Skandal, sondern nur ein Hinweis darauf, dass Erfolg und Zeit aus dem "König von Deutschland" einen Klassiker gemacht haben, der nun für Massenwerbung eingesetzt wird. Es ist natürlich bitter für die Scherben Family, dass diese Melodie nun vom "Schweinesystem" mit der Stimme von Harald Schmidt genutzt wird.
Der Song entstand noch in der radikalen, politischen Phase der 1970-er Jahre und hatte wie verschiedene andere Lieder (Kommen Sie schnell/Irrenanstalt, Alles Lüge, Junimond) es nie auf eine der bekannten Schallplatten der Scherben geschafft.
Funky K. Götzner, Foto: Jürgen D. Müller
Martin Paul, Foto: Jürgen D. Müller

Die Zusammensetzung der Band hatte sich seit dem letzten Konzert vor etwa 14 Monaten nur wenig verändert. Fast alle, die sich mit Recht als Mitglied der Ton Steine Scherben Familie bezeichnen können, waren wieder auf der Bühne: Funky K. Götzner am Schlagzeug (siehe das alte Foto vom Abschiedskonzert der Scherben in Hannover), Kai Sichtermann am Bass, Angie Olbrich und Nikel Pallat (Gesang und Percussion), Jörg Schlotterer (Chor und Querflöte), Lisa Jane Olbrich (Gesang), Marius del Mestre (Gesang und Rhythmusgitarre), Captain Hynding (Leadgitarre), Martin Paul (Keyboards; siehe das folgende alte Foto).

Es begann mit politischen Liedern. Kraftvolle Rockmusik mit Texten, die anklagen oder Hoffnung machen. Als das Publikum eingestimmt war, ging Jörg Schlotterer nach vorne ans Mikrophon und machte das Statement zur Geschichte der Scherben.

Die Scherben haben sich im Mai 1985 aufgelöst, aber diese politischen Kommune blieb im losen Kontakt oder wohnten zum Teil weiterhin gemeinsam in Fresenhagen. 2004 wurde schließlich beschlossen, dass die Ton Steine Scherben Family als Tourband entstehen sollte und im August 2004 wurde das erste Konzert vor Winnetous Garage und vielen nach Fresenhagen angereisten Fans gegeben.
Aus der Familie fehlen eigentlich nur drei Personen. Der viel zu früh verstorbene Rio Reiser, die ebenfalls verstorbene Britta Neander und der Leadgitarrist Lanrue, der weiterhin in Portugal lebt.
Die Scherben Family versteht sich explizit als eine politische Band. Jörg Schlotterer rief dazu auf, sich an den Protesten gegen den G8-Gipfel von Heiligendamm zu beteiligen.

Ton Steine Scherben Family schöpft aus dem reichen Fundus von Kompositionen der Scherben. Es sind entsprechend erdige Rocklieder oder Balladen. Marius del Mestre hat eine ähnlich verbrauchte Stimme wie Rio Reiser und damit die richtige Tonlage für die kraftvollen Rockmusik. Weichere Balladen wurden zum Teil von Angie Olbrecht gesungen.
Es freute mich ungemein, dass eine einige Stücke variiert oder besser interpretiert wurden. Ich meine mich zu erinnern, dass beim ersten Konzert im November 2005 ein Klassiker mit einem Reggae-Rhythmus gespielt wurde. Dies halte ich für den richtigen Ansatz, denn alleinige Werktreue würde diese Musik ersticken.
Viele Lieder waren bekannt und es tat so gut, diese wunderbaren Texte zusammen mit vielen anderen laut mitzusingen. Und dabei kam nie ein Gefühl von Sentimentalität auf. Die Texte sind weiterhin aktuell. Der Traum mag zwar aus sein, aber die Hoffnung auf politische Veränderungen wird nie vergehen.

Ich hab geträumt, der Winter wär vorbei,
du warst hier und wir war'n frei
und die Morgensonne schien.
Es gab keine Angst und nichts zu verlieren.
Es war Friede bei den Menschen und unter den Tieren.
Das war das Paradies.
Refrain:
Der Traum ist aus! Der Traum ist aus!
Aber ich werde alles geben, daß er Wirklichkeit wird.

Bis auf Lieder mit unmittelbaren Berlinbezug im Text (Mensch Meier) wurden fast alle Hits gespielt. Es tat so gut, endlich einmal wieder Der Traum ist aus, Der Turm stürzt ein, Halt Dich an Deiner Liebe fest, oder Menschenjäger, zu hören.

Gibt es ein Land auf der Erde,
wo der Traum Wirklichkeit ist?
Ich weiß es wirklich nicht.
Ich weiß nur eins und da bin ich sicher,
dieses Land ist es nicht. Dieses Land ist es nicht.
(Der Traum ist aus, 1972 - vollständiger Text hier)

Mehrmals lag der Geruch von Gras in der Luft und einmal umwehte eine Person ein Wolke von Patchuli. Da hatte eine Person in den frühen 80-er Jahre diesen Geruch für sich entdeckt und behalten. Ist das der Geruch dieser Zeit und Generation so wie das Kölnisch Wasser für die Nachkriegszeit und -generation. Das Publikum ist mit der Scherben Family gealtert. Viele graue Schöpfe waren zu sehen. Doch diese „Alten“ waren zum Teil auch mit ihren Kindern im Konzert. Nur das die Kinder (wie Lisa Jane Olbrich auf der Bühne) selbst schon seit Jahren erwachsen waren.

Uns gelang es, mehrere Zugaben zu erhalten und es war ein schönes Konzert, dass nur einen Makel hatte. War es der Veranstalter, war es das Capitol oder war es die Band, die für einen regulären Eintrittspreis von €31,00 verantwortlich war? Für Menschen, die zum Präkariat gehören, ist dies prohibitiv. Wenn ich nicht eine Freikarte bei Radio Flora gewonnen hätte, hätte ich nicht zu diesem Konzert erscheinen können.
Habe im Januar bereits über den Rio Reiser Abend in Hannover geschrieben.

Keine Kommentare: