Donnerstag, 28. Dezember 2006

Gastbeitrag aus Bukarest

Vorwort: Als im Oktober 2005 wieder einmal die so genannten Fortschrittsberichte der EU über Bulgarien und Rumänien veröffentlicht wurden, habe ich deutsche Artikel und Kommentare an ausgewählte Personen in Rumänien gesandt und um eine Stellungnahme gebeten. Cristina aus Sibiu (Hermannstadt) hat ein kleines Essay geschrieben (Februar 2006), das ich hiermit mit ihrer Zustimmung veröffentliche. Herzlichen Dank an Cristina!
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Die Herausforderung Rumänien
Als ich im Oktober 2005 mein Bukarest-Abenteuer begann, wollte ich als erstes das Lipscani-Viertel sehen. Ich hatte mich in der neuen Wohnung eingerichtet, ich musste nicht mehr über die Aufnahmeprüfung nachdenken und ich hatte Lust, Bukarest zu erforschen. In meinem Kopf hatte ich schon ein Bild von Lipscani: Rumänien zwischen den Weltkriegen, die aufgewühlte Vergangenheit, ... .
Was habe ich gefunden? Ruine, Kitsch, Armut und Verfall. Wenn man ein historisch geprägtes Viertel besucht, erwartet man Geschichte, Nostalgie, Menschen, die aus einer anderen Epoche zu kommen scheinen, Gebäude, die Bewunderung hervorrufen. In Lipscani findet man die harte Realität der rumänischen Unterschicht, die Gleichgültigkeit der rumänischen Gesellschaft. Am Beispiel der Menschen, die hier leben und „arbeiten“, erkennt man, dass die Geschichte den Menschen das Überleben nicht erleichtert. Die Unstimmigkeit zwischen Erwartungen und Realität sind flagrant und das vertiefte nur die negative Überraschung.

In Siebenbürgen sagt man, „Die Erde dreht sich anders in Bukarest“. Das habe ich eigentlich nie ernst genommen. Dies lag wahrscheinlich daran, weil ich nie länger als zwei Tage in Bukarest geblieben bin. Aber das Leben lässt weniges ungelöst. Ich wohne jetzt in Bukarest und bin täglich mit den Unterschieden zwischen Hermannstadt und Bukarest konfrontiert. Obwohl auch in Hermannstadt noch vieles verbessert werden kann, ist diese Stadt verglichen mit Bukarest die (rumänische) Definition der Normalität. Und ich sage das nicht nur weil es meine Heimatstadt ist. Termine werden (meistens) eingehalten; Regeln werden (oft) befolgt; die Menschen räumen im Winter den Schnee vor ihren Häusern weg; die Fußgänger überqueren die Straße bei grünem Licht; wenn die lokale Behörde eine Ausbesserung beginnt, dann gibt es auch einen Arbeitsplan, u.a. Aus diesem Hintergrund (und auch anderem) empfinde ich Bukarest als sehr chaotisch. Man kann sich auf sehr weniges stützen und das erschwert das Leben der Menschen erheblich. Viele haben sich daran gewöhnt, viele sehen es als normal an und wenige versuchen etwas zu ändern. Und die Lage der Sachen in Bukarest sagt natürlich eine Menge über die Wirklichkeit des ganzen Landes. Die Theorie sagt, es hänge alles mit der orientalischen Mentalität zusammen. Ich glaube es ist oberflächlich und ein leugnen der Verantwortung, wenn die heutigen Probleme nur auf die Vergangenheit geschoben werden. Immer öfter habe ich den Eindruck, dass Menschen eigentlich gar nicht selbst bestimmen können. Ich bestreite nicht, dass Gespenster der Vergangenheit uns heute noch heimsuchen (orientalische Einflüsse, Kommunismus). Wir können es uns aber nicht leisten, auch diesmal diese „Umstände“ als Ursache für unsere Misserfolge zu beschuldigen. Es ist Zeit, endlich selbst die Verantwortung zu übernehmen und zu bestimmen, in welche unsere Zukunft liegen soll.

Was Rumäniens Wahrnehmung in Europa und im Allgemeinen angeht, kann ich verstehen, dass es schwer ist, sich ein klares Bild zu machen. Rumänien ist ein Land der Mischungen und hat nicht ein einheitliches Bild (oder auch nur ein Bild), um es der Welt vorzustellen. Das so genannte „country brand“ war Thema unzähliger Diskussionen, die aber keine Lösung gebracht haben.

Die hohen Preise - die niedrigen Löhne; die hohe Platzierung Rumäniens auf der Korruptionsskala - die unendliche Debatte im Land über Korruption und wie man sie vermindern kann; die Villen am Stadtrand von Bukarest - die Mehrheit der Bevölkerung, die in Wohnblocks lebt; die Lieblingsaussage der Rumänen: "Es geht auch so" - die "Überanwendung" einiger EU-Normen; dies sind nur einige Gegensätze, die in Rumänien zu finden sind.

Rumänien ist nicht besser aus Hermannstadt oder aus Bukarest zu verstehen. Beide sind Facetten einer Darstellung eines Landes. Man sollte also begreifen, dass Rumänien nicht durch eindeutige Beschreibungen charakterisiert werden kann. Man wird immer Beispiele und Gegenbeispiele finden können. Rumänien ist eben ein Land, wo viele Gegensätze zu finden sind, und genau das gehört zu unserer Identität.

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Eine Reaktion von Stefana aus Bukarest, 13. Februar 2006:

Ich habe ungefähr 15 Jahre in Bukarest gelebt und musste vor nicht allzu langer Zeit feststellen, dass mir diese Stadt unbekannter vorkommt als jede andere Stadt. Bukarest zu entdecken bedarf nicht nur einiger Spaziergänge durch die wohl bekannten Areale der Großstadt so wie Lipscani oder andere Zonen mit sogenanntem historischem Wert. Ich muss leider fast beschämt zugeben das ich nach 15 Jahren in Bukarest kaum die wahren Schätze (falls man sie so nennen kann) gesehen habe. Ich fing an diese Stadt erst kennen zu lernen, nachdem ich beschlossen hatte, Architektur zu studieren.

Bukarest ist eine Stadt die aus Extremen besteht. Hinter Hochhäusern aus der kommunistischen Zeit und grausam kitschigen Bauten verstecken sich viele wertvolle architektonische Schätze, die diese Stadt ausmachen. Ich mache jedem, der Bukarest zum ersten Mal besucht, einen Vorschlag um aus diesem Klischee der Stadt der Armut und Gleichgültigkeit zu entkommen. Versucht an einem sonnigen Tag die Calea Victoriei (eine der größten Straßen Bukarest) entlang zu laufen und einfach zu betrachten was einem auffällt. Ohne Führung oder Gesellschaft, ohne jedwelchen Kommentar oder einer Erklärung. Ich bin der Meinung, Bukarest muss nicht verstanden werden, muss nicht erforscht werden, diese Stadt muss einfach so wahrgenommen werden, wie sie ist. Es stimmt, dass das Viertel Lipscani die ganze unverständliche Wahrheit Bukarests in sich trägt, aber in gleicher Weise macht dies auch die Calea Victoriei und diese beiden total entgegengesetzten Definitionen Bukarests -denn ich erlaube mir zu behaupten, dass diese zwei Viertel jeder in sich Bukarest definieren- bestätigen das schon zu oft ausgesprochene Zitat "je mehr sie von Rumänien wissen, umso weniger werden sie es verstehen". und es gibt noch viele andere Beispiele, die die unverständlichen Gegensätze dieses Landes darstellen, nicht nur zwei Viertel in Bukarest. Ich behaupte weiter, dass dieses Land nicht verstanden werden muss, weil es nicht verstanden werden kann. Für die, die es erlebt haben, scheint alles seine Logik und seine Regeln zu haben, für die Anderen eben nicht. Versucht einfach nicht mehr danach zu suchen ... es wäre sinnlos ...

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