Ich bin seit kurzem Besitzer eines vom Autor Walter Kempowski signierten Exemplars von Weltschmerz – Kinderszenen fast zu ernst. Berlin: Albrecht Knaus Verlag 1995.
Walter Kempowski gilt als einer der produktivsten Schriftsteller Deutschlands und diese Miniaturen erscheinen so leicht geschrieben und ließen mich dennoch zunächst ratlos. Ist es nur einfache Literatur und wo ist hier der rote Faden?
In 99 Szenen von wenigen Zeilen bis zu vier Seiten werden Beobachtungen, Überlegungen und Beschreibungen aus dem Leben des Kindes Sigmund in den 30-er und 40-er Jahren vorgestellt. Die Geschichten sind chronologisch aufgebaut und beginnen mit der Geburt. Die letzte Szene handelt von einem Wunschtraum der Kindheit, an die sich viele Jahre später erinnert wird.
Diese Momentaufnahmen wurden mit jeder Szene verständlicher und erinnerten mich schließlich an die Technik der Schnappschüsse, wie sie von Arno Schmidt in den 50-er Jahren theoretisch und praktisch entwickelt wurden. Der Mensch erinnert sich diskontinuierlich und es sind Szenen wie bei Kempowski, die in ihrer Summe eine Erinnerung an eine weit zurückliegende Vergangenheit auf einer persönlichen Ebene dokumentieren. Mich würde es nicht wundern, wenn Walter Kempowski im Weltschmerz auch eigene Erinnerungen an seine Kindheit in Rostock verarbeitet hat.
Zunächst werden Miniaturen aus dem Leben eines kleinen Kindes und dann eines Kindes der 30-er Jahre und des Zweiten Weltkrieges geboten. Die scheinbar glücklichen Erinnerungen lassen zunehmend Bilder aufblitzen, die auf die Nazizeit verweisen. Das Kind interessiert sich hierfür nicht. Die Remilitarisierung Deutschland wird als Einmarsch in die Heimatstadt erlebt (Miniatur 10). Dann taucht unvermittelt ein Flaksoldat (21) auf, Kriegsspielzeug mit Verletzten gibt es zu Weihnachten (35) und ein Besuch Des-Nicht-Genannten wird mit den Eltern aus einer ungewöhnlichen Perspektive betrachtet. In einer der letzten Miniaturen (95) erlauscht der Junge, wie flüsternd erzählt wird, dass das Regime seine Gegner nicht nur in Lager steckt, sondern das es dort sehr brutal zugeht.
Walter Kempowski ist ein Kunstwerk gelungen. Es wird eine Kindheit in der Nazizeit geschildert, ohne das Fakten und Symbole dieser Zeit ausdrücklich genannt werden. Ein Leser ohne historisches Vorwissen und regionalen Bezug, würde vielleicht gar nicht bemerken, wie hier ganz nebenbei gezeigt wird, wie die Nazizeit, die Menschen verändert.
Ein ungewöhnliches Buch und ein guter Tausch gegen guten Wein.
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