Freitag, 29. Dezember 2006

Filmkritik Das Leben der Anderen

Das Leben der Anderen, Deutschland 2006, 137 Minuten. Regie: Florian Henckel von Donnersmarck. Darstellende: Ulrich Mühe, Martina Gedeck, Sebastian Koch, Ulrich Tukur, Thomas Thieme.

Es ist eine fiktive Geschichte einer Stasi-Überwachung, wenn auch eine Geschichte, die sich oftmals bis in Details an historisch überlieferte Fakten hält und zum Teil an Originalschauplätzen (Hohenschönhausen) gedreht wurde. Natürlich handelt der Film im Jahre 1984. Es ist dies das letzte Jahr des alten Systems in den so genannten Ländern des real existierenden Sozialismus. Im März 1985 wurde Michail Gorbatschow zum Staats- und Parteichef der Sowjetunion gewählt und die Dynamik der Veränderung und Auflösung des System begann. Doch es ist vor allem das Jahr 1984, weil dieses Jahr seit George Orwell 1948 seine Dystopie formulierte, die Chiffre für die totale Überwachung ist.
Es wird eine OPK dargestellt und damit die verschiedenen Elemente der staatlichen Repression in der DDR verdeutlicht. Ein vom System überzeugter Stasi-Hauptmann betreut im Rahmen einer Operativen Personenkontrolle eine Totalüberwachung eines Künstlerpaars, dem oppositionelle wenn nicht sogar staatsfeindliche Handlungen unterstellt werden. Es ist dies eine technische Überwachung mit einer Kamera am Hauseingang und Wanzen in jedem Raum der Privatwohnung. Durch diese Observation wird die Überzeugung des Stasi-Mitarbeiters so weit erschüttert, dass er die Observierenden vor seinen Vorgesetzten und Kollegen in Schutz nimmt.

Ulrich Mühe spielt den Stasi-Hauptmann Gerd Wiesler, Sebastian Koch den Schriftsteller Georg Dreyman und Martina Gedeck dessen Lebensgefährtin die Schauspielerin Christa-Maria Sieland. Es ist dies eine exzellente Wahl für den Überwacher und die anderen zum Teil namenlos bleibenden Stasi-Mitarbeiter. Ulrich Mühes Gesicht erscheint nicht so bekannt und kann damit das Bild von den grauen Männern im Hintergrund bedienen. Die observierten Künstler und ihr Freundeskreis werden wiederum von zum Teil sehr bekannten Gesichtern gespielt. Der Stasi-Vorgesetzte Grubitz wird von Ulrich Tukur gespielt, der überzeugend die faschistische Gesinnung dieser Figur ausfüllt.
Die Stasi faschistisch? Ich bin sparsam mit diesem Adjektiv und halte mich an die etymologische Wurzel von "Fasces"; dem prä-antiken Symbol für das verliehene Recht, über Leben und Tod von zugeordneten Menschen zu entscheiden. Der Faschist als Negation der Gewaltenteilung. Die Rolle des Grubitz ist so angelegt. Er hat keine Zweifel an seiner Tätigkeit und Todesfälle, die aus seiner Arbeit erfolgen, bleiben bar jeder menschlichen Reaktion.

Der Wandel des Stasi-Hauptmanns Gerd Wiesler vom Überzeugungstäter, der in einer Vorlesung studentische Widerworte sofort aktenkundig macht, zu einem Menschen, der Mitgefühl zeigt, wird mit der sparsamen Mimik von Ulrich Mühe (under acting) überzeugend gespielt.
Die Lächerlichkeit mancher Überwachungseinsätze wird bei einem Treffen oppositioneller Künstler in der Öffentlichkeit gezeigt. Ein überwachter Künstler verweist auf seinen Spitzel, der sich ungeschickt hinter Bäumen versteckt. Doch dies ist natürlich auch Repression, denn es ist allen klar, dass jede Begegnung protokolliert wird.

Einige Drehbuchideen sind leider nicht sehr überzeugend. Ich bezeichne es als Küchenpsychologie, wenn nach dem Abhören eines Geschlechtsverkehrs die nächste Szene den Stasi-Spitzel mit einer Prostituierten zeigt. Es bleibt etwas von einer Ersatzhandlung, auch wenn die Kälte des Geschäfts der Prostituierten, die nach festen Stundenplan Hausbesuche bei Stasi-Mitarbeitern macht, verdeutlicht wird.

Es wird ein ambivalentes Bild der Stasi gezeichnet. Ja, es war dies eine böse Organisation, wie alle geheim operierenden Dienste, also auch BND, MAD und der so genannte Verfassungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland. Die hauptamtlichen Täter innerhalb der Stasi waren auch Menschen, die zweifeln konnten, damit aber nie Opfer wurden. Diese Verwechslung der Fakten von ehemaligen Mitarbeiter des M.f.S. wird hier nicht kolportiert. Die Entscheidung des Stasi-Hauptsmanns hat keinen Einfluß auf sein Leben nach 1990. Ein hauptamtlicher Führungsoffizier des M.f.S. kann keine Karriere machen und muss von Aushilfstätigkeiten leben. Es wäre wünschenswert, wenn auch die westdeutschen Spitzel und ihre Führungsoffiziere (BND-Präsident und späterer Außenminister Klaus Kinkel; Geheimdienstkoordinator und heutiger Außenminister Frank-Walter Steinmeier!) so sozial geächtet wären, wie die Stasi-Mitarbeiter.

Das Leben der Anderen (offizielle Website) ist spannend, beklemmend und anregend. Die Musik von Gabriel Yared und Stéphane Moucha erzeugt eine Gänsehaut; auf der offiziellen Seite kann das exquisite Stück „Die unsichtbare Front“ angehört werden. Nach diesem Film wird es zwangsläufig Gespräche über das Thema geben, auch wenn die Wucht der Geschichte erst einmal individuell verarbeitet werden muss.
Ich möchte den Film ausdrücklich empfehlen. Florian Henckel von Donnersmark hat mit dieser Abschlussarbeit seines Regiestudiums den ersten überzeugenden Spielfilm zur Stasi-Repression am Ende der DDR vorgelegt.

Das Leben der Anderen bekommt von mir acht von zehn möglichen Punkten meiner Filmbewertungsskala.

Inhaltsangabe: DDR 1984, Hauptmann Wiesler von der Stasi-Hochschule wird auf eigenem Wunsch zur persönlichen Überwachung eines staatlich akzeptierten Schriftstellers abkommandiert. Dessen Freundin lässt sich auf eine Affäre mit dem Kulturminister ein, um ihre Stellung als Schauspielerin zu festigen. Der Vorgesetzte des Stasi-Hauptmanns erhält den Auftrag, irgend etwas beim Schriftsteller zu finden, so dass dessen Freundin alleine dem Kulturminister gehört. Im Gegenzug würden die Observierenden einen Karriereschub erleben.
Der Hauptmann ist von seiner Arbeit überzeugt, doch dieser spezielle Auftrag widerspricht seinen Idealen von der Verteidigung des Staates. Als der Schriftsteller anonym für eine westdeutsche Zeitschrift einen kritischen Bericht schreibt, werden die Observierungsprotokolle so formuliert, dass kein Verdacht auf die Observierten fällt.
Es kommt zur Hausdurchsuchung beim Schriftsteller und zur Inhaftierung der Schauspielerin, die nach einer IM-Erklärung wieder freigelassen wird. Hauptmann Wiesler entfernt alle Spuren, so dass bei einer zweiten Hausdurchsuchung wieder nichts gefunden wird. Die Schauspielerin zieht für den Verrat an den Schriftsteller die tragische Konsequenz eines Suizids.
Der Hauptmann wird zum einfachen Mitarbeiter im Stasi-Innendienst degradiert und erhält auch nach der Auflösung der Stasi keine neue qualifizierte Tätigkeit. Der Schriftsteller liest in seinen Stasi-Akten, dass der ehemalige Hauptmann Wiesler sein Schutzengel war und widmet den folgenden biographischen Roman HGW XX/7, was sein offizielles Kürzel in den Observationsprotokollen war.

Ein Filmkritik von Claus Löser findet sich hier. Der Autor scheint in der ehemaligen DDR sozialisiert zu sein, denn er lamentiert u.a. über die fehlende historische Bedeutung des Jahres 1984 in der DDR und das damit ein Grundansatz der Handlung nicht korrekt ist. Er merkt nicht, dass dies ein symbolisches Jahr war. George Orwells Roman 1984 gehörte in der Bundesrepublik Deutschland zum Kanon der Pflichtbücher im Fach Deutsch.
Eine überschwängliche Kritik hat Evelyn Finger für Die Zeit geschrieben.
Eine Zusammenschau der verschiedenen Filmkritiken wird auf angelaufen.de geboten.
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Der Film hat reichlich Preise gewonnen:
Deutscher Filmpreis 2006 : Bester Spielfilm, Ulrich Mühe bester Hauptdarsteller, Ulrich Tukur bester Nebendarsteller, beste Regie, beste Kamera, bestes Szenbild und bestes Drehbuch.
Europäischer Filmpreis 2006 : Bester europäischer Film,
Ulrich Mühe bester Hauptdarsteller und bestes Drehbuch.

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