Aus dem Reisetagebuch vom 4. Februar 2005
Wir hatten abgemacht, dass wir früh für einen Aufbruch bereit sein sollten und auf dem Weg in einem amerikanischen Frühstücksrestaurant stoppen würden. Halb Acht war ich wach und um acht hatte ich einen Becher Kaffee getrunken und war startklar. Wann starteten wir? Es war bereits nach 10 Uhr, als endlich das Auto rollte.
Um die Zeit zu überbrücken setzte ich mich ans Internet, um aktuelle Wetterberichte zu erhalten. Ein Blick aus dem Fenster zeigte, dass es hier auf der Insel vor dem Festland sehr diesig war. Das Thermometer zeigte mit weniger als 15° Celsius einen kühlen Morgen an. Die Wettervorhersagen konkurrierender Anbieter behaupteten alle, dass sich dieser Hochnebel/Tiefwolke an der Küste schnell auflösen würde. Regenwahrscheinlichkeit 0 Prozent und Sonnenschein. Entsprechend zog ich mich für unseren Tagesausflug an.
Der Frühstücksplatz war so, wie ich ihn bereits Hunderte Male in Spielfilmen und Fernsehserien gesehen hatte. Hohe Lehnen trennten Sitzmöglichkeiten für jeweils maximal sechs Personen. Kaffee bis zum abwinken und natürlich bestellte ich Pfannkuchen mit Blaubeeren. Ein Frühstück für 8 US-Dollar also etwa 6 Euro. Was kostet ein Frühstück in Deutschland? Da ich mir dies nie erlaube, habe ich jetzt keinen Vergleichspreis.
Wir fuhren auf der Clark Road (State Route 72) zum Myakka River State Park. Mit Interesse lernte ich, dass alle State Parks durch das US-Äquivalent zum Arbeitsdienst der NS-Zeit errichtet wurden. In der Zeit der wirtschaftlichen Depression wurden verschiedene Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen geschaffen. Eine davon war das Civilian Conservation Corps. Gruppen von Arbeitern, die in der Wildnis Naturparks schufen, in dem diese durch einen Außenzaun gekennzeichnet wurden und im Park die notwendigen Straßen, Brücken, Hütten und Häuser für Bedienstete und Besucher gebaut wurden. Am Fluss Myakka wurde ein Damm errichtet und damit ein großer See (etwa 1 mal 2 km) geschaffen. Der Park ist ein flaches Feuchtland, so etwas wie die nördliche Verlängerung der Everglades. Flüsse und Seen bekommen ihr Wasser ausschließlich vom Regen und entsprechend gibt es eine große Variabilität im jährlichen Fluss- und Seespiegel. Meine Gastgeberin hatte angekündigt, dass ich am Lake Myakka nicht nur meinen ersten Alligator, sondern gleich große Gruppen von dieser Tierart sehen würde.
Die Naturparks sind für mich als Deutscher so unvergleichlich groß. Nachdem wir das Tor passiert hatten, war für einige Meilen das einzige Zeichen von Zivilisation, die Straße auf der wir fuhren. Auf unseren Stopps war es still, die Stille der Natur. Hier und da ein Vogel, ein brummender Unterton von einer Zikadenart und manchmal ein Knacken im Gehölz. Wir stoppten auch an einer Brücke, da hier das Wasser tiefer und damit verschiedene Tiere zu sehen sein sollten. Leider war nirgends ein Alligator zu sehen. Der Hochnebel hatte sich selbst 20 Kilometer landeinwärts noch nicht verzogen, ein kräftiger Wind reduzierte die gefühlte Temperatur (Chill-Faktor) erheblich.
Wir fuhren zum See, wo uns ab 13 Uhr auf einer Bootsfahrt die Tierwelt erläutert werden sollte. Der Kapitän sagte allen potentiellen Gästen, dass wir bitte zurück zu unseren Autos gehen mögen, um dort so viel warme Kleidung wie möglich anzuziehen. Am Land waren es 65° F und auf dem See im offenen Boot würden es gefühlte 20° F weniger sein. (umgerechnet entspricht dies etwa 18° bzw. 8° Celsius). Ich hatte nichts weiteres zum Anziehen und würde mich auf der Fahrt mit warmen Gedanken aufheizen. Es wurde auch gleich gesagt, dass wir vermutlich nicht einen einzigen Alligator sehen würden, obwohl Hunderte im See leben. Den Tieren ist es einfach zu kalt, um aufzutauchen (ein Atemzug reicht den Tieren für 2-3 Stunden unter Wasser). Er sollte Recht behalten, zweimal sah ich die Nase von einem Alligator etwa 200 Meter entfernt. Das war es dann aber auch schon.
Dennoch war es eine sehr schöne Bootsfahrt. Es war dies eines der Fahrzeuge, die von einem großen Ventilator am Heck angetrieben werden. Ein Boot ohne echten Kiel, dass mit diesem Antrieb auch durch Flachwasser fahren kann. Der Wind war stark und trieb das Boot mehrmals ab. Bereits am Anleger gab es verschiedene Geier und Kraniche und auf der Fahrt war dann einer der hier seltenen Weißkopfadler zunächst sitzend im Profil und dann im Flug zu beobachten. Der Kapitän war sehr unterhaltsam und erzählte sehr viel über die Biologie des Gators (wie er den Namen verkürzte) und sein Verhalten gegenüber Menschen. Es gibt hier nicht einen dokumentierten Fall von einem Angriff eines Alligators auf einen Menschen und es wird auch keine Person vermisst. Sie sind nicht harmlos und selbstverständlich sollte niemand im Fluss oder im See baden, aber weder Angler, die in ihren Gummihosen im Flachwasser stehen oder Spaziergänger am Ufer haben Horrorerlebnisse zu berichten.
Der See ist ein Idealplatz für die Tiere. Frischwasser, verschiedene Fischarten und hat eine Größe, die selbst in sehr trockenen Jahren genügend Wasser bietet.
Nach etwa einer Stunde auf dem See gingen alle Mitreisenden gemeinsam in den Gift-Shop, nicht zum Shoppen, sondern um sich dort aufzuwärmen. Wir fuhren weiter, es gibt im Park einen Steg, der weit ins Wasser hinausgeht und einen guten Blick auf eine verlandende Bucht bietet. Meine Gastgeberin erzählte, dass sie hier bereits Gürteltiere gesehen hat. Aber die Temperaturen wollten einfach nicht steigen. Es war bereits 3 Uhr nachmittags und Temperaturen sowie die Tageszeit hielten scheinbar viele Landtiere von einer Bewegung ab.
Der Park hat einen Canopy Walkway, auf dem man die Welt aus etwa neun Meter Höhe beobachten kann. Da wir uns in einen Feuchtwald befanden, waren viele Epiphyten zu sehen. Am Ende des Canopy Walkway befindet sich ein Holzturm, der mit seiner höchsten Plattform in etwa 24 Meter Höhe einige Meter über allen benachbarten Bäumen herausragt. Das einzige Zeichen von Zivilisation war ein Hochspannungsleitung, die den Park quert. Ansonsten waren Hunderte von Varianten von Grün zu sehen. Ein Fall für FUJI.
Als wir den Turm verließen, löste sich der Hochnebel sehr plötzlich auf und ein strahlend blauer Himmel war über uns. Die Sonnenflecken im Wald boten keine Wärme.
Wir blieben noch einige Zeit im Besuchszentrum und dann ging es direkt zurück nach Sarasota. Myakka ist ein Naturpark, dessen Grenze weniger als 5 km von der wachsenden Siedlungsgrenze der verschiedenen Küstensiedlungen entfernt ist. Bereits kurz hinter der Grenze des State Park waren große geräumte Flächen für kommende Country- und Golf-Anlagen zu sehen. Floridas Küstensiedlungen wachsen weiter sehr schnell und es ist ein Wachstum “der Reichen und der noch Reicheren” (Zitat von George W. the BUSH über seine politischen Freunde)
Wir fuhren nicht zurück zum Haus. Es wurde das Haus einer befreundeten Frau angesteuert, die wir zum Friday Fry Fish abholten. Die benachbarte St Bonicace Episcopal Church bot bis Ostern regelmäßig an den Freitagen ein Abendessen mit Fisch. Hier fühlte ich mich zunächst vollständig deplatziert. Das Durchschnittsalter der Gäste war wie im Restaurant Roaring Twenties mit seiner Wurlitzer Orgel (siehe vorherigen Beitrag) deutlich über 60 Jahre und ich sitze in einem protestantischen Gemeindesaal an einem großen, runden Tisch und ließ mich für wenig Geld beköstigen.
Die befreundete Frau war dann eine interessante Gesprächspartnerin, die vor mehreren Jahrzehnten aus dem Westen von England ausgewandert war. Sie verwies mehrmals auf ihre europäischen Wurzeln und das bestimmte Verhaltensformen der US-Amerikaner nur schwer zu akzeptieren sind. Sie sagte es natürlich viel höflicher.
Es kam ein weiterer Senior an den Tisch, er war bereits 85 Jahre alt. Der Name deutete deutsche Wurzeln an. Er war 1938 aus Österreich in die USA ausgewandert und kämpfte für die Amerikaner gegen die Nazis in Frankreich. Hier gab es einen markanten Satz zum Zweiten Weltkrieg: “Ich mag nicht über den Krieg reden, das war ein schreckliches Erlebnis”. Wir beide unterhielten uns fast eine halbe Stunde auf Deutsch. Bin mir sicher, dass wir beide es genossen, in dieser Sprache zu reden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen