Mittwoch, 3. Januar 2007

Ein Stich in Ghana

"Es ist ganz in der Nähe, nur zur Hauptstraße und dann nach rechts." Mit diesen Worten wurde mein Vorschlag, ein Taxi zur gesuchten Textilhändlerin zu nehmen, abgelehnt und so starteten wir zu Fuß. Die Schneiderin Lucky M. war mit mehreren Stunden Verspätung zu meiner Unterkunft in einem Gehöft im Stadtteil Kotobabi im Norden von Accra gekommen. Sie hatte mir Tage vorher angeboten, mich an diesem Vormittag zu einer Händlerin zu führen, die Stoffe hatte, die in ihrer Farbenpracht auch in Deutschland getragen werden können.
Unser Weg führte uns auf einer Staubstraße hangaufwärts. Diese Piste war gleichzeitig der unkanalisierte Weg für das tägliche Abwasser und sie sah nicht nur wie ein trockenes Flussbett aus. An einem anderen Tag hatte ich den Weg nach einem Nieselregen erlebt. Der Untergrund wurde seifig-rutschig und eine schlammige Brühe floss in den tiefsten Rillen hinab. Nur Fahrzeuge, die auf den Stelzen von Sprungfedern fuhren, trauten sich auf diese Straße.
Ich wohnte schon seit zwei Wochen an dieser Straße, aber als wir eine Grundschule passierten, sangen die spielenden Kinder immer noch als freundlichen Gruß "Blafonyo - how are you - we are fine - thank you". Bereits hier merkte ich, dass es schon viel zu spät war, um einen Fußmarsch zu machen. An einen sonnigen Tag wie diesem, sollte ein Weißer (Blafonyo) die Mittagssonne im Schatten oder in Gebäuden umgehen.
Endlich auf der Hauptstraße angekommen, bot ich nochmals an, ein Taxi zu bezahlen. "Let’s safe money and walk", sagte die Schneiderin. Die Tuchhändlerin sollte ihr Geschäft ja gleich hinter der nächsten Kurve an dieser Straße haben. Die nächste Kurve war weit und ich bereits im Schweiß. Diese Kurve war aber nicht gemeint und auch nicht die nächste. Wir gingen bereits eine halbe Stunde in der staubigen heißen Luft, als ich mich schließlich weigerte, auch nur noch hundert Meter weiter zu gehen. Ich befürchtete, dass ich wieder einmal einen Sonnenstich bekommen würde. Ein Stich reicht, um mindestens einen Urlaubstag zu ruinieren. Ein Taxi wurde herangewunken und fuhr uns für den Gegenwert von wenigen Mark zum nun wirklich nahen Ziel. Das Schwindelgefühl beim Aussteigen war ein mir wohl bekanntes Zeichen. Ich hatte vor der extremen Sonne gewarnt, aber die befreundete Schneiderin wollte verhindern, dass ich unnötig Geld für ein Taxi ausgebe. Am Abend stellte sich Durchfall ein und ich hatte das Gefühl, dass der gesamte Feierabendverkehr durch meinen Kopf brauste. Den ganzen nächsten Tag verbrachte ich unter dem Moskitonetz oder auf der Toilette und hatte Gelegenheit, über die unterschiedliche Bedeutung von (Klein-) Geld und Zeit nachzudenken. Es hatte sich übrigens ein schöner nicht zu bunter Stoff gefunden, aus dem ein Hemd entstand, dass mich an diese fassungslos freundliche Stadt erinnert.


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Der Text beschreibt ein Erlebnis aus dem Jahre 1999 und wurde 2001 als mein Beitrag zu einem Schreibwettbewerb der taz verfasst. Es sollten Reiseerlebnisse unter dem Motto Grenzerfahrungen eingesandt werden. Ausgewählte Beiträge wurden als Buch veröffentlicht. Mein Beitrag war leider nicht dabei.

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Eine andere Beobachtung von meinen Reisen durch afrikanische Städte findet sich hier:
Lome, Togo

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