Aus dem Reisetagebuch vom 2. Februar 2005
Weiterhin matschig bis krank. Abends fuhr ich mit meiner Gastgeberin zu einem Laden, der Koffer repariert. Die Wegbeschreibung war schwierig, da wir nur wussten, dass er in einen Einkaufszentrum an einer bekannten Kreuzung liegt. Doch auf drei Seiten der Kreuzung gab es weitflächige Einkaufszentren, mit jeweils über 50 verschiedenen Geschäften.
Es war ein asiatischer Schuh-Kleidung-Gepäck-etc-Reparaturladen. Die Frau sprach das bisher schlechteste Englisch, was ich hier gehört habe. Es waren sehr viele "My Dear" und sehr private Kosewörter in ihrer Anrede der Kunden. Mein vermeintlich "italienischer" Koffer (Aufschrift FIONA) hat ein anderes System von Rollen, als die Standardsysteme der Koffer, die in den USA genutzt werden. Sie konnte mir nicht weiterhelfen.
Dies ist eines der Dinge, an die ich mich nur schwer gewöhne. Vieles was bei uns in Europa Standard ist, gilt hier nicht. Fahrenheit-Grade (Umrechnung in Celsius: –32 *5 / 9), fluid ounce (28,4ml), pounds (0,45359237 kg), alle Preise im Imbiss, Restuarant und Bar immer ohne Tax und die erwarteten 15-20 Prozent Trinkgeld (Personal erhält angeblich nur 2-3 Dollar/Stunde, das wirkliche Gehalt ist das Trinkgeld).
War dankbar, dass ich herumkutschiert wurde, aber es war natürlich auch Eigeninteresse dabei. Es wurde eine Reihe von Läden, aus denen manchmal nur für ein Produkt gekauft wurde, angesteuert. Sie sagte mir klar, dass Sie nach den Einbruch der Dunkelheit nie ohne Begleitung ihr Auto verlassen würde. War also in der Position eines Einkaufsleibwächter. Wir waren bis 20:45 Uhr einkaufen und im letzten Laden besorgte ich mir kalifornischen Merlot, um mir später bei der jährlichen "State of the Union Address" des US-Präsidenten die Kante zu geben. Leider schmeckt der kalifornische Merlot mir noch weniger als sein italienisches Pendant. Hach, was freue ich mich auf eine Flasche Merlot von der Côte d’Or.
Doch in den Läden lernte ich erstmals Produkte kennen, die billiger sind, als in Deutschland. Textilwaren oftmals Made in China oder einem anderen asiatischen Land sind hier stark vertreten. Wir haben in der EU noch starke Schutzzölle gegen diese unter Dumpinglohnbedingungen hergestellten Produkte. Und Musik-CDs, aktuelle und klassische Popproduktionen waren billiger. Leider war der besuchte Hyper-Marché nicht gut sortiert. In diesen Produktbereichen werde ich noch Geld lassen und das BSP der USA steigern.
Ab 21:00 Uhr zeigten alle grossen Fernsehkanäle das selbe Programm. Live from Capitol Hill in Washington, D.C. The State of the Union Address by President Bush. So ein Zirkus! Wie bei einer Übertragung von der Oscar-Verleihung wurde bereits vor der Rede live übertragen und der Einzug der Ehrengäste kommentiert. Um 21:15 Uhr betrat der Gladiator George Walker Bush die Arena. Frenetischer Beifall. Es dauerte fünf Minuten bis er das Rednerpult erreicht hatte und der Saal zur Ruhe kam. Jede Geste war einstudiert und es war wichtig, welchen Personen er auf seinen Weg zum Podest die Hand schüttelte und wen er sonst direkt mit einem Handzeichen grüßte. Politikersatz.
Es folgten 55 Minuten Phrasen mit politischer Gymnastik, die nur vergleichbar sind mit der religiösen Gymnastik der Katholen. Etwa alle zwei Minuten fiel ein Satz, der so frenetischen Beifall erzeugte, dass zunächst einige und schließlich alle Senatoren und Abgeordnete aufstanden und applaudierten. In vielen Sätze dazwischen war die klare Trennlinie zwischen den Bereich der Demokraten und Republikaner zu erkennen. Und dann gab es die Ehrengäste, die auf der Besuchertribühne rund um die First Lady gruppiert waren. Ein älteres Ehepaar, dass in Faludja/Irak die Tochter, die für die US Marines dort tötete, verloren hat; eine Frau, die am Sonntag zuvor im Irak gewählt hatte (US brings democracy to Iraq), ein Soldat ohne Arme, etc. pp. Hier gab es viele Emotionen, Tränen flossen, als die Gäste persönlich angesprochen wurden und sie mit langen Applaus begrüßt wurden. Was für eine Verlogenheit, es wr wie in einem schlechten Hollywoodfilm. Über ein Drittel der Rede (das Ende) ging es um Außenpolitik. Mit 80 Prozent aller Auslandssoldaten im Irak-Einsatz und der täglichen Milliarde US-Dollar (!) für die Sicherung der Invasionstruppen ging es dabeu natürlich fast ausschließlich um den Irak. Das Wort Europa fiel nur einmal im Zusammenhang mit der Wahlhilfe, die die EU für die Wahl im Irak zur Verfügung stellte. Es ist kein Thema, dass seit dem letzten Jahre die EU in wirtschaftlicher Kraft (Export-Import) und Bevölkerungszahl (Binnenmarkt) durch die Erweiterung um zehn Staaten mit der USA gleichgezogen bzw. sie sogar überholt haben Ich erzähle nichts Neues, wenn ich daran erinnere, dass Außenpolitik in den TV-Nachrichten und in der Lokalausgabe der Sarasota Herald Tribune sich vor allem um die Länder dreht, wo US-Soldaten im Einsatz sind. Ist die Tsunami-Region noch ein Thema in Deutschland? Hier nicht!
Mr. Bush seine Kommentare zur Sozialsicherung haben eine Sprengkraft, wie Schröders Hartz-IV-Pläne, als diese erstmals bekannt wurden. Die Rente soll vollständig über die folgenden Dekaden privatisiert werden. Wer jetzt staatliche Rente erhält oder eingezahlt hat, wird diese auch erhalten, aber alle kommenden Einzahlungen erfolgen in private Aktienfonds und anderen Großinvestitionen.
Die Antwortreden der Führung der Demokraten (jeweils separat für Senat und Repräsentantenhaus) waren leider nicht viel besser als die Inszenierung aus dem großen Saal. Habe hiervon nur noch in Erinnerung, dass der Senator daran erinnerte, dass der 2.2. der Groundhog-Day sei. Er erinnerte an die gute Komödie mit der Zeitschleife und das Bush seine Rede mit seinen vielen Versprechen schon mehrmals gehalten und bisher nichts erfüllt hat.
Wir haben hier im Haus nicht mehr groß über die Rede diskutiert.
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