Donnerstag, 4. Januar 2007

Alfonso Cuaron 2006 Children of Men

Children of Men (GB/USA 2006, 108 Minuten)
Regie: Alfonso Cuarón

Dystopien können so verstörend sein und dieser Film ist verstörend. Die Welt in 21 Jahren, seit 2009 wurde kein Kind mehr geboren und die älter werdenden Gesellschaften igeln sich ein, drängen alle Zuwanderer als Schmarotzer brutal aus dem Land.
Die Geschichte handelt in London und einigen Regionen Englands. In der schrumpfenden Gesellschaft wird der verbleibende Wohlstand durch rigorose Abschottung geschützt. Nicht nur gegenüber dem Ausland, sondern auch im Land auf Inseln des Wohlstands, die eine Normalität vorspiegeln. Alle Ausländer werden propagandistisch als Feinde des Systems beschrieben, gejagt, inhaftiert um schließlich nach Europa abgeschoben zu werden. Statt einer Festung Europa hat sich die Insel Britannien in eine Festung verwandelt. Der Staat und seine Sicherheitsorgane kontrollieren nur noch einen Ausschnitt der Bevölkerung und des Landes. Aufständische kämpfen gegen die Regierung und Individualisten haben sich eigene Rückzugsräume geschaffen. Die Städte verfallen nicht nur wegen der abnehmenden Bevölkerungszahl. Viele Gebäude vor allem Schulen haben keine Funktion mehr.
Ein Beamter (gespielt von Clive Owen) wird gewaltsam zu seiner ehemaligen Partnerin (Julianne Moore), die nun eine Gruppe von Aufständischen führt, gebracht. Er hatte selbst einmal Sympathien für die Ziele der Gruppe und mit der Frau ein gemeinsames Kind. Eine Influenza-Pandemie tötete das Kleinkind und in der Folge die Beziehung. Desillusioniert funktioniert er nun im System der Regierung. Er wird von ihr aufgefordert, seine persönlichen Beziehungen zu aktivieren, um notwendige Papiere für eine besondere Frau zu besorgen, welche die abgeschottete Insel verlassen möchte.
Die besondere Frau (Clare-Hope Ashitey) ist schwanger. Eine schwarze Ausländerin steht kurz vor der Geburt eines Kindes und wird damit zum Spielball von widerstreitenden Interessen. Einige Aufständische wollen Mutter und Baby als Symbol des Aufstands für ihre Ziele nutzen, aber die Mutter will nur das Land verlassen und im Schutz einer idealistischen, internationalen Organisation, deren reale Existenz bis zum Schluss im Nebel verbleibt, mit ihrem Kind leben.

Der Film ist eine Dystopie und damit ein Beispiel für einen pessimistischen Blick auf die Zukunft. Politische, soziologische und biologische Tendenzen der Gegenwart werden fortgeschrieben und münden in diese fragmentierte Gesellschaft. Es geht um Macht und damit auch stets um das, was in der so genannten Öffentlichkeit der Medien gesagt und gezeigt werden kann. Der Staat bestimmt die Informationen und ihre Interpretation. Ohne Informationsalternativen werden Lügen zur Wahrheit erklärt. Die Ab- und Ausgrenzung von Zuwanderern schränkt auch die Bewegungs- und Informationsfreiheit der Einheimischen ein. Das Land ist mit Kontrollpunkten der Sicherheitskräfte überzogen und ohne exklusive Passierscheine sind keine große Bewegungen möglich. Um ihre Ziele zu erreichen gehen die konkurrierenden Gruppen wortwörtlich über Leichen. Der Staat bekämpft einen permanenten Bürgerkrieg mit allen militärischen Mitteln. Die Aufständischen töten unvermutet und bei Bombenanschlägen ist nicht sicher, ob der Staat dies aus propagandistischen Gründen erlaubte oder sogar selbst durchführte oder ob es Guerilleros waren. Es ist eine sehr gewalttätige Geschichte.
Die Hauptperson ist kein Held, sondern oftmals ein Getriebener oder Flüchtling im eigenen Land.

Der Regisseur Alfonso Cuaròn, der durch seine düstere Version von "Harry Potter und der Gefangene von Askaban" einen großen Publikum bekannt wurde, erzählt die Geschichte in emotionalen Wellen, welche die Zuschauer immer tiefer in die Zukunftsbilder hineinziehen. Die aggressive Anspannung einer Fluchtsequenz führt zu ruhigen Bildern und Dialogen, die unvermittelt wieder in bedrohliche Situationen umschlagen. Es gibt schockierende Bilder, die im Kino zu großer Anspannung führen und die ruhigen Elemente sind notwendige Erholungspausen. So eine Oase bildet das versteckte Gehöft eines Althippies (Sir Michael Caine), wo ein Blick auf die Vergangenheit geworfen wird und damit viele aufgebaute Fragen beantwortet werden.
Dabei ist die Geschichte, die auf einen Roman von Phyllis D. James (1992 auf Deutsch "Im Land der leeren Häuser“, eine Inhaltsangabe) basiert, ohne Handlungssprünge oder Inkonsequenz seiner Akteure. In Fluchtszenen der Akteuren wird eine Handkamera verwendet, die den Personen dicht folgt. Diese wackeligen Bildern sind anstrengend, schaffen aber den Eindruck, einen Dokumentarfilm aus einem Kriegsgebiet zu sehen. Hierzu tragen auch Nebenhandlungen bei, wenn im Hintergrund Folterungen der Sicherheitskräfte zu sehen sind oder radikale Islamisten mit Maschinengewehren und "Allahu Akbar"-Geschrei einen der ihren zu Grabe tragen.

Es gibt sehr viel interessante Musik zu hören und dies ist nicht nur Filmmusik, sondern oftmals die in der Handlung zu hörende Musik aus Autoradios oder privaten Stereoanlagen. Unter anderen "Ruby Tuesday" in einer Version von Franco Battiato und "Running the World" von Jarvis Cocker. Mindestens einmal kommentieren und pointieren die Texte dieser Lieder die Handlung. Technischer Fortschritt ist in dieser Zukunft nur ein Werkzeug. Bewegliche Werbung auf Linienbussen oder am Zeitungsstand, große durchsichtige TV-Bildschirme an vielen Orten, Elektroautos, ...
Die Geschichte ist voller Symbole. Die junge, schwarze Frau ist eine Madonna, die Hoffnung für alle Menschen bringen kann. Die Aufständischen nennen sich Fishes und verweisen damit auf die Metapher der frühen Christen.

Der Film ist stimmig bis in die Details (die Abzuschiebenden sprechen zum Beispiel eine Vielzahl von zu erkennenden europäischen Sprachen, darunter auch Deutsch). Einer der wenigen Filme, der einen zweiten Besuch im Kino wert ist. Ich gebe ihn 8-9 von 10 möglichen Punkten meiner Werteskala..

Zwei Verknüpfungen zu professionelle Filmkritiken: Andreas Borcholte hat dies für Spiegel-online getan und Dominik Kamalzadeh für meine taz. Warum glaubt eigentlich die taz-Kulturredaktion, dass ihre Filmkritiken stets negativ sein müssen?

Keine Kommentare: