Wenn Einer eine Reise tut ...
Meine bisher schlimmste Erfahrung an meinem Geburtstag ist nicht, dass ich wieder ein Jahr älter bin sondern ein bewaffneter Überfall.
Wir schrieben das Jahr 1995 und ich war auf einer halbjährigen Forschungsreise zu Archiven und Bibliotheken in Nairobi, Harare, Pretoria, Johannesburg und Kapstadt. Von Montags bis Freitags war ich jede mögliche Arbeitsstunde entweder in der Bibliothek für Medizinforschung, auf dem Gelände der
Witwatersrand-Universität oder im
Nationalarchiv in Pretoria. Auf den Touren hatte ich in Johannesburg bereits Buchläden und ein Antiquariat entdeckt.
Mein Geburtstag fiel 1995 auf einen Samstag und mein Vermieter in Midrand gab mir eine Mitfahrgelegenheit zum Taxi Stand Halfway House an der Autobahn Pretoria-Johannsburg. Ich wollte mir selbst etwas zum Geburtstag schenken (Bücher, Kleidung, CDs) und hatte entsprechend etwa umgerechnet 200 DM dabei. Für den Nachmittag vereinbarten wir ein Treffen in einem Einkaufszentrum um gemeinsam zurück zu fahren.
Sie sagen
Taxi in Südafrika, doch es sind die hier bekannten Transporter, in die vier Sitzbänke eingebaut wurden. Gedrängt wie Sardinen in der Dose werden 14-18 Passagiere mitgenommen. Die Federung der Fahrzeuge verwies stets darauf, dass wir überladen waren. Es war oft schmutzig und die Taxis fuhren viel zu schnell. In jeder schnell gefahrenen Kurve neigte sich das Fahrzeug zur Seite.
Ich hatte damals schon Erfahrungen aus fünf anderen subsaharischen Ländern und mir war bekannt, warum Verkehrsunfälle stets gleich mehrere Tote und viele Schwerverletzte forderten. Nicht nur auf den langen Strecken zwischen den Städten mahnten ausgebrannte Karosserien von Kleinbussen, dass hohe Geschwindigkeit lebensgefährlich sein kann.
Meine Endstation war der Wanderers Taxi Rank in der Nähe vom Bahnhof Johannesburg. Mit meinen gewachsenen Ortskenntnissen hatte ich mir einen Weg Richtung Universität gemerkt, wo ich Straßenhändler mit Büchern gesehen hatte. Ich ging auf fast leeren Straßen auf der Smit Street bis zum YMCA, wo ich hügelaufwärts in die Rissik Street bog, um oben über die De Korte Street zum Ziel zu gelangen. Rissik Street ist eine von den Ausfallstraßen aus der Innenstadt und passiert auf dem Hügel das brutalistische
Civic Centre.
Es war verwunderlich, es war etwa 9:30 Uhr und in diesem Moment fuhr kein Auto die vierspurige Straße hinauf oder die zweispurige Straße hinab.
Ich war relaxed und bummelte. Erstmals hörte ich Stimmen hinter mir und von links überholte mich einer und von rechts zwei schwarze Jugendliche. Einer sprach mich an, aber ich ignorierte ihn. Und dann ging alles sehr schnell und ich kann nur feststellen, dass mir einige Sekunden abhanden gekommen sind. Also habe ich nur einige Schnappschüsse:
- Einer der Jugendlichen war vor mir und ich blickte in eine 20-25cm Klinge eines Messers, das nicht sehr sauber war. Es war eine breite Klinge, breiter als mein Bowie-Knife.
- Ich ging halbwegs zu Boden und fühlte eine Hand in meiner rechten Hosentasche, die nach meinem Portemonnaie langte.
- Ich stand auf und blickte mich um. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich im Zeitlupentempo bewegte. Die ersten drei bewegten sich hügelaufwärts und als ich mich umdrehte sah ich weitere 6-7, die sich in drei Gruppen aufspalten; 2-3 bogen um die Ecke des CVJM und die anderen entschwanden auch schnell.
Ich war perplex, die Aktion dauerte nur wenige Sekunden und mein Portemonnaie war fort. Der locker über meine Schulter geworfene Rucksack war noch vorhanden und nichts anderes war gestohlen. Ich hatte noch nie eine Bedrohung wie diese erlebt.
Viel später stellte ich fest, dass ich offensichtlich als Tourist zu erkennen war. Birkenstock mit weißen Socken, Wollpullover locker über die Schultern und in einem Tempo gehend, das anzeigt, dass ich Zeit habe.
Es war früh am Morgen und sie konnten erwarten, dass ich zu diesem Zeitpunkt noch viel Geld mit mir führte. Sie hatten recht, aber mein Geld war natürlich nicht nur in der Börse. Ich hatte es verteilt auf Börse (40-70 Rand), rechte Hosentasche, Hemdtasche und Innentasche des Rucksacks (400 Rand). Das hatte ich während meines Studienjahres in Dar es Salaam gelernt. Geld verteilen, so dass stets Reserven für ein Taxi vorhanden bleiben.
Der materielle Verlust war gering, aber der Vertrauensverlust nicht zu messen. Später in der Innenstadt und auch im "Boulders" Einkaufszentrum in Midrand/Halfway House wurde ich unruhig, wenn ich in meinem Augenwinkeln einen überholenden Schwarzer sah.
Ich ging nach dem Überfall meinen geplanten Weg weiter und besorgte mir in einer Post Briefmarken. Hier schrieb ich auch eine erste Notiz über den Überfall. Die Straßenhändler, die ich in der Woche gesehen hatte, waren am Samstag nicht da. Mein Geschenk war im Universitätsviertel nicht zu finden.
Ich ging in die Innenstadt. Mein nervöser Blick suchte stets nach Straßen, wo andere Menschen gingen und ich meinte, dass an Straßenkreuzungen einige Männer mich genau taxierten. Ich war auf der Suche nach zwei Antiquariate an der Market Street, von denen ich gehört hatte.
Die Bürgersteige waren belebt, aber ich sah zuerst keine weiße Gesichter. Während der ganzen Zeit in der Innenstadt sah ich höchstens vier oder fünf Weiße, die bis auf eine Ausnahme (Polizistin) alle offensichtlich von ihrer Bekleidung Touristen waren.
Ich fand ein Antiquariat doch es war verriegelt und verrammelt wie auch viele andere Geschäfte. Nur einmal ging ich in ein Geschäftszentrum und hoffte dort einen Pullover zu finden. Es war Winter in Johannesburg und ich hatte nur wenig warme Kleidung dabei. Natürliche Fasern und Erdfarben fanden sich, aber es war sehr modisch geschnitten. Ich bevorzuge ewige Muster, Farben und Designs.
Zwei Männer die mit mir in das Geschäftszentrum kamen, hatten entweder das gleiche Ziel oder verfolgten mich. Ich war immer noch vom Überfall geprägt und verließ die Innenstadt bereits gegen 11 Uhr. Ein "Taxi" brachte mich zurück nach Midrand und damit zurück zum beschützten Umfeld der
Boulder Mall.
Ich bummelte durch die Geschäfte, fand aber immer noch nichts. Mit einem Stapel von Zeitungen und zwei Postkarten ging es in ein chinesisches Schnell-Restaurant. Ich hoffte auf was Leckeres, die Mahlzeit war nicht mau, aber auch nicht berühmt. Der Hauptgang wurde in einer essbaren Schale serviert. Eine gute Idee, die ich bis dahin noch nicht kannte.
Als ich das Restaurant verließ, war immer noch viel Zeit bis zur verabredeten Rückfahrt. Auf die Schnelle wurden noch zwei Postkarten gefüllt, wo ich versuchte meinen Schock zu formulieren.
Und dann ging es ins Kino:
Batman Forever. Ein Comic mit lebenden Schauspielern. Hier war nichts zu analysieren, sondern nur etwas zum Gucken. Der Ton war viel zu laut, aber ich wollte im Film verschwinden und vergessen und dass gelang.
Danach ging es mit meinen Vermietern zurück. Sie hatten noch etwas vor und so leerte ich am Abend alleine eine Flasche Sekt. Ein merkwürdiger Geburtstag.